: Baulöwe aus dem Zirkus ausgebrochen
Das Bau- und Immobilienimperium der Firmengruppe Schneider steht vor dem Konkurs / Schneider mit unbekanntem Ziel verreist / Krisensitzung von 50 Bankvorständen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – „Unser Zwick heißt Schneider“ hieß es gestern an der Wertpapierbörse in Frankfurt/Main – exakt Dr. Jürgen Schneider. Der größte private Baulöwe der Republik aus Königstein im Taunus, der bis zum vergangenen Wochenende einem (verschachtelten) Imperium von Bau- und Immobilienfirmen vorstand, ist nämlich schlicht verschwunden: mit unbekanntem Ziel. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main hat Vorermittlungen gegen Schneider eingeleitet. Ein Konkursantrag war gestern noch nicht gestellt, in Bankerkreisen spricht man aber vom bevorstehenden Konkurs der gesamten Firmengruppe.
Der Abgang von Schneider hat vor allem die Vorstände von rund 50 in- und ausländische Banken elektrisiert – darunter der deutsche Branchenleader Deutsche Bank AG mit seiner Tochter Deutsche Centralbodenkredit AG. Krisensitzungen waren bei den Banken schon am Montag angesagt, denn alleine bei der Deutschen Bank steht Schneider nach Angaben der Börsenzeitung mit mindestens einer Milliarde Mark in der Kreide. Dreißig weitere deutsche Banken, weiß die – Börsenzeitung –, seien von den „Liquiditätsproblemen“ bei der Firmengruppe Schneider „empfindlich betroffen“, elf mit über 100 Millionen Mark.
Doch nicht nur die Banker haben Angst um ihr Geld. Handwerksmeister in Leipzig, Frankfurt/Main und München, die für Schneider altehrwürdige Villen und Hotelkomplexe restauriert und ganze Einkaufsmeilen und Ladenpassagen aus dem Boden gestampft haben, sitzen auf ihren unbezahlten Rechnungen. Alleine beim Verband der baugewerblichen Unternehmer in Hessen, so dessen Geschäftsführer Reinhard Buhl, hätten sich seit Wochenbeginn elf Handwerksbetriebe gemeldet, die von Schneider für ausgeführte Aufträge noch „20 bis 30 Millionen Mark“ zu bekommen hätten. Krisenstimmung auch in Leipzig. Dort dementierte Wirtschaftsdezernent Christian Albert Jacke Agenturmeldungen, wonach Schneider „fast die gesamte Innenstadt“ gehöre – aber die halbe mit Sicherheit. Elf Objekte hat die Firmengruppe Schneider in der City von Leipzig billig aufgekauft, darunter die renommierten, aber zu DDR-Zeiten heruntergewirtschafteten Nobelherbergen Fürstenhof und Barthels Hof.
Nach bewährtem Muster (Frankfurt/Main) wollte Schneider auch im Osten seine Objekte grundlegend sanieren – und dann für teures Geld wieder verkaufen oder in eigener Regie als Immobilienverwalter bewirtschaften.
„Wir haben gedacht, die Firma Schneider ist ein seriöses Unternehmen“, klagte vorgestern der Bauunternehmer Peter Elsner, der mit seinen rund 300 MitarbeiterInnen auf den Großbaustellen von Schneider in Leipzig im Einsatz war. Elsner hat noch rund eine Million Mark von Schneider zu kriegen. Insgesamt seien 4.000 Arbeitsplätze in Leipzig gefährdet, hieß es.
Der Vorstandsvorsitzende der Schneider-Tochter CIP-AG, Horst Obermayr, macht den Baufirmen nicht allzu viele Hoffnungen. Schneider habe vor Ostern angekündigt, in die Toscana zu reisen, nach Ostern sei das gesamte flüssige Kapital aus dem Konzern herausgezogen gewesen.
Sollte das Imperium von Jürgen Schneider demnächst tatsächlich zusammenbrechen, wird sich auch die bayerische Landeshauptstadt München mit einem neuen Titel schmücken dürfen: Heimat der größten Bauruine der Republik. Schon 1987 hatte Schneider das neubarocke Palais Bernheimer in München gekauft, um daraus ein Einkaufszentrum mit eigener U- Bahn-Station und einer Tiefgarage zu machen. Für 1995 war die Eröffnung geplant – und jetzt wartet man in München auf die Eröffnung des Konkursverfahrens.
Noch hoffen Bauunternehmer, Banker und Magistrale in West und Ost, daß die Immobilien der Firmengruppe Schneider einen berechenbaren Gegenwert zu den aufgelaufenen Verbindlichkeiten darstellen – und so der drohende Konkurs der Gruppe vielleicht doch noch abgewendet werden könnte. Doch exakte Angaben über die Höhe dieser Verbindlichkeiten sind zur Zeit nicht zu bekommen. Die Rede ist von drei bis acht Milliarden Mark.
Schneider, der sich selbst als „privaten Investor mit Freude an historischen Immobilien“ bezeichnete, hat offenbar die Auswirkungen der Rezession auf die Branche unterschätzt. Weil der Mann über eine Holding seine Objekte in der Regel selbst bewirtschaftete (vermietete), wurde ihm die drastisch zurückgehende Nachfrage nach Büroraum – verbunden mit einem Preissturz – zum Verhängnis. Selbst in der City von Frankfurt/ Main stehen etwa im Messeturm, aber auch in anderen renommierten Immobilien Büroräume leer. Auch die Zeilgalerie Les Facettes, in die Schneider rund 100 Millionen Mark investiert haben soll, wurde trotz Werbefeldzug ein Flop. Die Luxusgeschäfte in der Galerie wurden weit weniger frequentiert als von den Investoren erwartet – und die für die Geschäftsräume in Les Facettes angesetzten Mieten hatten ohnehin eine abschreckende Wirkung auf potentielle Interessenten.
In Bankerkreisen heißt es jetzt, daß Schneider sich „übernommen“ habe. Allerdings hielten gerade die Banken den Baulöwen über Jahre hinweg für so seriös, daß sie ihm bereitwillig mit Milliardenkrediten unter die Arme griffen. Eine Rettungsaktion der Banken, wie etwa vor Monatsfrist für die Metallgesellschaft, soll es aber nach Insiderinformationen für die Firmengruppe Schneider nicht geben. Logisch: Denn seit Montag gibt es (offiziell) keinen Schneider mehr.
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