: „Ich schäme mich sehr“
■ Der Prozeß um die Brandanschläge von Solingen begann mit einem überraschenden Geständnis
„Ich schäme mich sehr für das, was ich angerichtet habe.“ Mit diesen Worten gestand Markus Gartmann gestern vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht seine Beteiligung an dem mörderischen Brandanschlag von Solingen, der fünf türkischen Frauen und Kindern das Leben kostete. Gartmann und drei weiteren Beschuldigten wurde zu Beginn der Verhandlung vom Anklagevertreter Dirk Fernholz vorgeworfen, in der Nacht zum 29. Mai 1993 „aus niederen Beweggründen“ und „heimtückisch“ das Wohnhaus der türkischen Familie Genç angezündet zu haben. Neben Gartmann bekundeten gestern nach Verlesung der Anklageschrift noch zwei weitere Beschuldigte ihre Bereitschaft zur Aussage. Damit scheinen die im Vorfeld aufgekommenen Zweifel an der Beweiskraft der Anklageschrift im wesentlichen ausgeräumt.
Im Gesicht kalkweiß, rang Markus G. zu Beginn seiner Ausführungen immer wieder nach Worten. Die im Saal anwesenden Angehörigen der Toten bat er um Verzeihung: „Es tut mir unheimlich leid, was wir vier verursacht haben.“ Das Motiv der Tat hat sich nach seinen Angaben aus der rechtsradikalen Ideologie entwickelt, die man in seinem Freundeskreis pflegte. „Wir alle hier sind das Ergebnis dieser Parolen.“
Dann begann der 24jährige mit der Schilderung seines Lebensweges, der ihn über Grund- und Realschule letztlich zur Hauptschule führte. Nach dem Schulabschluß schlug sich der heute 24jährige ausschließlich mit Aushilfsjobs durch. Bis zuletzt lebte er bei seinen Eltern. Sein Verhältnis zu ihnen schilderte er als „gut“. Besonders getroffen habe ihn der Tod seiner 1990 verstorbenen Mutter. Ab Sommer 1991 habe er Anschluß an einen Kreis von rechtsorientierten Jugendlichen gefunden, zu denen auch der mitangeklagte Felix K. gehörte. Felix K. brach gestern schon während der Anklageverlesung in Tränen aus. „Ich war es nicht, sagen Sie dem das“, flüsterte der heute 16jährige seinem Verteidiger zu.
Die Verteidigung der von Gartmann als Mittäter belasteten beiden Angeklagten Felix K. und Christian B. hatte zuvor erklärt, sie habe durch diese Arbeit „die Überzeugung gewonnen, Unschuldige zu verteidigen“. Ein Geständnis schaffe noch keinen Beweis, und die schweren Vorwürfe der Bundesanwaltschaft seien „zunächst lediglich eine Behauptung“, sagte der Verteidiger von Felix K., der Düsseldorfer Anwalt Georg Greeven. Die Bundesanwaltschaft wirft allen Angeklagten vor, den Brandanschlag aus Haß gegen Ausländer begangen zu haben. Mit neuen Details warteten die Karlsruher Bundesanwälte gestern aber nicht auf. „Unsere Hoffnung“, so Verteidiger Greeven angesichts der umstrittenen Anklage, „stützt und gründet sich auf die Sorgfalt des Senats“. Man werde „in der Sache engagiert verteidigen, aber dafür Sorge tragen, daß die von der Tat Betroffenen durch die Art und Weise der Verteidigung nicht zusätzlich leiden müßten“.
Die Anwälte der als Nebenkläger zugelassenen Familien Genç sprachen dagegen von einem hinreichenden Tatverdacht gegen alle Angeklagten und von „der Hoffnung, daß die wahren Täter verurteilt werden“. Es werde Aufgabe der Hauptverhandlung sein, den schwerwiegenden Verdacht zu erhärten. Gleichzeitig sprachen die Nebenklagevertreter von ihrer „Skepsis“ gegenüber den „hehren Worten“ von Verteidiger Greeven.
Der Prozeß konnte wegen des Medien- und Besucherandrangs erst verspätet beginnen. Zahlreiche Journalisten aus dem In- und Ausland sowie ZuhörerInnen aus dem Solinger Raum warteten stundenlang vergeblich auf Einlaß. Der Prozeß wird morgen fortgesetzt. Walter Jakobs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen