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Dem Vergessen entreißen

■ Ausstellung im Thalia erinnert an Schauspieler, die von den Nazis ermordet wurden

Kennen Sie noch Robert Dorsay, der einst in der Ufa-Produktion Flitterwochen an der Seite von Anny Ondra und Hans Söhnker spielte? Oder Otto Wallburg, der dicke Komiker vom Deutschen Theater Berlin, der in der Titelrolle des 1931 gedrehten Films Der Hochtourist brillierte? Nie gehört? Oder schon vergessen? Im Thalia Theater ist jetzt eine Ausstellung über die Schicksale von Schauspielern zu sehen, die das Dritte Reich nicht überlebt haben. Der Titel: Verehrt, verfolgt, vergessen.

In vierjähriger Arbeit recherchierte der Kunsthistoriker Ulrich Liebe die Biographien von mehr als fünfzig von den Nationalsozialisten ermordeten Theaterkünstlern. Das Ergebnis: Ein Bildband und die Wanderausstellung. An den Schauwänden sind Porträts, Filmfotografien und Kurzbeschreibungen einzelner Lebenswege zu sehen, die fast alle in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern endeten. Sieben Biographien ragen in der Arbeit Liebes heraus. Es sind die zu ihren Lebzeiten bekanntesten Schauspieler. Da zeigt sich im schönen Stil der 30er-Theaterfotografie der Charakterdarsteller Kurt Gerron mit beeindruckendem Schnauzer. Er starb 1944 in Auschwitz. Oder der Frauenliebling Joachim Gottschalk als sensibler, sehnsuchtsvoller Galan mit kajalumrandeten Augen. Er, der sich weigerte, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen, nahm sich verzweifelt das Leben. Daneben versuchte der Historiker aber auch, die „kleinen Leuchten“ aufzuspüren und dem Vergessen zu entreißen.

Liebe ging unorthodoxe Wege, um Dokumente zu finden. „Die Hinweise waren zum Teil so dürftig, daß ich nur mit einer unsicheren Adresse eines womöglich schon gestorbenen Freundes und ein paar Fotos losfuhr“, erzählt Liebe. Wie im Fall Otto Wallburg. Da führte ihn der Weg nach Amsterdam, zur letzten bekannten Adresse des geflüchteten Künstlers. „Ich bin einfach in das Stadtviertel gegangen, aus dem die Adresse stammte, und habe allen Passanten, die älter als siebzig aussahen, Fotos von Wallburg unter die Nase gehalten“. Ein alter Mann erkannte Wallburg schließlich und zeigte Liebe die Koffer, die er mehr als fünfzig Jahre in seinem Keller verwahrt hatte. “Der Mann hatte die Sachen eingesammelt, die Wallburg bei seiner Deportation nach Auschwitz auf der Straße stehen lassen mußte.“

Zeitgleich mit der Ausstellung im Theaterfoyer, die auf Anfrage auch tagsüber zu besichtigen ist, läuft ein Rahmenprogramm. Am Sonntag wird eine Podiumsdiskussion über „Schauspieler als Naziopfer – ein Thema von gestern?“ stattfinden. Das Metropolis beginnt am 17. April mit dem Film Alarmstufe V eine Reihe mit Werken der verfolgten Schauspieler (Beginn: 17 Uhr). Katrin Wienefeld

Ulrich Liebe, „Verehrt, verfolgt, vergessen“, Beltz Verlag

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