: Bismarck irrtümlich beschnitten
■ Knobi Bonbon: Deutschlands erstes und einziges Kabarett von Türken für Deutsche im RatiborTheater
Deutschland, Deutschland über alles – doch was ist deutsch? Das einzige deutsche Kulturgut ist Himbeerpudding, und selbst der Gartenzwerg stammt aus der Türkei. Und dennoch, Deutschland ist das „Paradies auf Erden“, die Deutschen sind das „Nonplusultra, das i-Tüpfelchen“. Gäbe es keine Deutschen, Gott müßte sie erschaffen „als Beweis seiner eigenen Vollkommenheit“. Der deutsche Bundesbürger als türkisches Lebensziel? Den türkischen Müllmann, den „integrierten Türken“ schlechthin, treibt das in die Identitätskrise. Alles hat er getan für den deutschen Paß, sogar seine Beschneidung rückgängig gemacht. Doch jetzt dreht er durch: Als „Beschneider von Ulm“ – so auch der Titel des Programms – lebt er die Schizophrenie eines Ausländers, der sich tagsüber angepaßter als die Inländer verhält und sich nachts als messerschwingender Fundamentalist entpuppt. Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Längst sind die Grenzen verschwommen: „Deutsch gewordner Türke oder türkisch gewesener Deutscher“ – ein Thema fürs Kabarett?
Für Muhsin Omurca, die jüngere Hälfte des Duos Knobi Bonbon, das zur Zeit im RatiborTheater auftritt, ist das keine Frage. „Denn Satire ist treffsicherer, als wenn man direkt schimpfen würde.“ Also müssen die Türken auf die Therapeuten-Couch, die Deutschen werden vorgeführt. Die Zwangsbeschneidung, irrtümlich auch am Bismarck-Denkmal vollzogen, gerät zur muselmanischen Bedrohung, zum volkswirtschaftlichen Faktor und, ach ja, letztlich auch zum Talkshow-Thema. Was bleibt, wenn die eigene Kultur verleugnet wird und die neue die Annäherung schlicht ignoriert? „Deutsche, wir lieben euch doch alle – deshalb sind wir hier!“ Auf der Bühne wird dies zur radikalen Groteske. Vorurteile und Visionen werden brillant und mit faszinierender Mimik vorgeführt, zerhackt und wieder zusammengeflickt. Wahnwitzige Einsichten und manchmal auch hörbare Ratlosigkeit im Publikum entstehen im Wortumdrehen.
Der Satiriker Sinasi Dikmen und der Karikaturist Muhsin Omurca haben jahrelange Erfahrung mit Kabarett zum Thema Integration. „Der Beschneider von Ulm“ ist bereits das vierte Programm von Knobi Bonbon, dem ersten und einzigen türkischen Kabarett für Deutsche. Gegründet im Jahr 1985, „um den Deutschen endlich mal unseren Standpunkt klarzumachen, aber eben satirisch, nicht so wie Politiker oder Wissenschafter über Integration reden“, sind sie immer wieder auf Tournee quer durch Europa und auch in der Türkei, übrigens konsequent in deutscher Sprache. Bereits 1988 erhielten die beiden Autodidakten für das Programm „Putsch in Bonn“ den deutschen Kleinkunstpreis.
„Der Beschneider von Ulm“, den sie schon seit zwei Jahren im Repertoire haben, wurde vorgestern abend das erste Mal in Berlin aufgeführt. Die Premiere war für die beiden Kabarettisten jedoch enttäuschend. Das Publikum war sehr zurückhaltend, der Funke sprang nicht über. „Wir sind sowas nicht gewöhnt, das klingt vielleicht hochnäsig, aber normalerweise haben wir ein wahnsinniges Publikum.“ Der erste Gedanke von Muhsin Omurca nach dem Auftritt: „Ähnlich wie in Tuttlingen, tief im Schwarzland.“ Aber auch die Kabarettisten selbst wirkten etwas müde. Beide leben ja seit vielen Jahren in Deutschland – was eigentlich treiben sie nachts? Judith Gampl
Noch bis 17.4. und 20.–24.4., 20 Uhr, RatiborTheater, Cuvrystraße 20, Kreuzberg.
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