: Der letzte hiphoppende Weiner
HipHop-Filme, die x-te: „Juice“ schmeckt lecker und bringt den Posse Effect echt in Motion ■ Von Andreas Becker
Immer müssen die kleinen Lebensmittelhändler dran glauben. Der Milchmann an der Ecke hat schon die Hosen voll, wenn die Kapuzenjungs die Kühlung der Cola beanstanden. Wenn sie dann auch noch ihre Kreditkarte vergessen haben, wird's für den Koreaner langsam Zeit, sich hinter der Ladentheke zu verschanzen. Bei „Menace II Society“ wird er erschossen, einfach so, weil einer der Jungs nervöse Zuckungen im Finger hat. Damit nimmt das Unheil seinen Lauf: Alle sind dran, und werden früher oder später im Knast verschwinden oder von der Konkurrenzgang aus dem fahrenden Auto heraus abgeschossen. Bei „Menace“ kommt strafverschärfend hinzu, daß der Täter ein Oberprahlhans ist und allen Kumpels zum Abendessen das Überwachungskamera-Video vorführt: „Und so hab' ich ihn abgeknallt, huh huh!“
Durchgeknallt ist authentisch. In „Juice“, 1992 in New York gedreht, muß auch der Bubblegum- Händler, bei dem man als Kind schon gek(l)aut hat, sterben. Trotzdem ist hier alles anders. Die Szene steht nicht am Beginn wie in „Menace“, wo das Geschehen immer eine ärgerliche Zwangsläufigkeit entwickelt. Bei „Juice“ gibt es eine Vorgeschichte mit netten Jungs, mit denen man sich schon vor der Ballerei anfreundet. Mit ihnen gemeinsam geht man den Bach runter, fuck this shit, man.
Der Film, den der amerikanische Verleih nicht rausrücken wollte, weil er fälschlicherweise meinte, HipHop-Filme interessierten hier nicht, wurde vom Eiszeit- Kino dann direkt über den Regisseur Ernest Dickerson bezogen. Die Arbeit hat sich gelohnt.
Die Geschichte von Gee Q (Kürzel für Quincy), dem dicken Kind Steel, Raheem und Bishop, ist, im Gegensatz zu anderen Gangsterfilmen, die möglichst stahlhartmachomäßig daherdonnern, im ironischen Duktus des frühen Spike Lee erzählt. Hier rumpelt's zwar auch im Gebälk, aber nicht weil die Schauspieler so heavy drauf sind, sondern wegen des darunter wummernden HipHop. Dickerson war Kameramann bei diversen Lee-Produktionen wie „She's Gotta Have It“, „Jungle Fever“ und „Do the Right Thing“. „Juice“ ist Dickersons erster eigener Film.
Wenn Raheem und seine Freunde morgens nicht hochkommen, scratcht die Mutter schon mal mit der Nadel voll über die Platte – das wirft jeden aus dem Bett. Dann heißt es, die dicken Sneakers über die dicken Füße kriegen, erstmal ein paar Platten holen und Schule schwänzen. Die neue EPMD wird ungeschickt unter der Zeitung versteckt, noch allerlei anderes verstaut, einer flirtet mit der Verkäuferin – und raus. Das Drehbuch hat Dickerson selbst verfaßt. Bei dem westernartigen Überfall auf den Grocery-Man spürt man förmlich, wie sich alle in die Hose machen. Gleichzeitig schimmert der krude Humor der Pizzeria-Abfacklung von „Do the Right Thing“ durch.
Alle gegen alle: „Aber du hast doch gesagt, wir wären Brüder?!“ Trotzdem wird der beste Freund erschossen, weil Bishop, nachdem er den Ladenbesitzer umgebracht hat, einfach durchdreht: „I don't give a fuck!“ Bishop fährt zur Hölle, und er hat keine Lust, allein im Zug zu sitzen. Als erster muß Raheem dran glauben, der sich den Überfall ausgedacht hatte. Irgendwann ist der nette Dicke an der Reihe, der letzte HipHopper, der noch weinen kann. Bleibt Q.
Und Q darf nicht einfach sterben, denn er ist der Hoffnungsträger des Films. Er ist auf dem besten Wege, erfolgreicher DJ zu werden, weil er sich zu Hause schon als Kind die Finger wundscratcht. Bei einer Audition – auch die läuft mit einer Replik auf Arbeitslosenfilme, mit einer unendlich langen Warteschlange recht humorig ab – wird sein Tape ausgewählt. Genau am Abend des als Belohnung winkenden Auftritts beim DJ-Wettbewerb in einer Disko soll der Überfall stattfinden. Respekt, Respekt: Das klingt schwer nach Sozialpädagogendrehbuch, wirkt in „Juice“ aber nicht so. Das mag auch an den flockig debütierenden Schauspielaspiranten liegen, die von Beruf zum Teil Rapper sind: 2 Pac von Digital Underground, Queen Latifah.
Q handelt nach der Devise „Werde DJ, und du hast es besser.“ Das ist allemal emanzipativer als die Flucht in ein gelobtes Bundesland ohne Rassismus, die dann, wie in „Menace II Society“ (16.& 20.4. im Eiszeit), auch noch in einem theatralisch-furiosen Shoot-Down endet. Oder der eregierte Pädagogenzeigefinger in „Boyz'n the Hood“ (18.4. im Eiszeit). Hier jubelten die US-Kids genau bei der Parkplatzschießerei, jener Szene, bei der sie laut Planung eigentlich empört aufspringen sollten.
„Juice“ ist nicht „ganz nett“, wie es eine Kollegin unvorsichtig nach der Vorführung meinte. „Juice“ ist der beste Film seiner Art bisher. Wegen seiner ziemlich guten Musik sollte man ihn außerdem möglichst laut sehen.
„Juice“, USA 1992, Chef: Ernest Dickerson, mit Musik von Naughty By Nature, Eric B. & Rakim, Teddy Riley, MC Toon, Big Daddy Cane, Salt&Peppa, Cypress Hill, Son of Bazerk, Brand New Heavies u.a.
Bis 20.4., täglich 20.45 Uhr im Eiszeit (Zeughofstraße 20, Kreuzberg) im Rahmen der Gangfilm- Reihe „The Posse Effect in Motion“ (Jugendliche unter 18 zahlen 5 DM). Am 22.4. um 20.30 Uhr bei freiem Eintritt auf dem Mariannenplatz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen