: Welches Geständnis ist wahr?
■ Im Prozeß um die Brandmorde in Solingen verwickeln sich die mutmaßlichen Täter in widersprüchliche Aussagen / Wie viele Angeklagte waren beteiligt?
Düsseldorf (taz) – Im Prozeß um den Solinger Brandanschlag gab es gestern eine überraschende Wende. Kurz vor der Mittagspause sagte der nach der Tat zuerst festgenommene 17jährige Christian R., daß die anderen drei Angeklagten nicht an der Tat beteiligt gewesen seien. Zu seiner eigenen Rolle wollte er sich nicht äußern: „Über meine eventuelle Beteiligung möchte ich jetzt noch nichts sagen.“ Danach ermahnte der Senatsvorsitzende Wolfgang Steffen Christian R. und den erwachsenen Angeklagten Markus Gartmann – dieser hatte kurz zuvor erneut gestanden, daß alle vier Angeklagten an der Tat beteiligt gewesen seien –, ihre Aussagen noch einmal zu überdenken: „Einer sagt die Unwahrheit.“ Doch Gartmann blieb bei seiner Version, R. ebenfalls. Steffen beschwor die Angeklagten daraufhin, ihr Aussageverhalten noch einmal zu überprüfen, „denn hier sitzen Personen, denen schweres Leid zugefügt worden ist. Sie sollten auspacken, um dieses Leid der Angehörigen nicht noch durch einen monatelangen Prozeß zu vergrößern.“
Markus Gartmann hatte zu Prozeßbeginn in freier Rede ein detailliertes Geständnis abgelegt. Demnach haben alle vier Angeklagten den Brandanschlag am Pfingstsamstag gemeinsam begangen. Zusammen mit den beiden Jugendlichen Felix K. und Christian B. besuchte Gartmann am Samstag abend einen Polterabend. Dort gab es eine Schlägerei, in deren Verlauf die drei von zwei Männern, „die wir für Türken hielten“, so Gartmann, vor die Tür gesetzt wurden. Die drei zogen danach zu Karsten H., einem Bekannten von Gartmann. Von da ging es weiter in die Innenstadt. Dort stieß man auf Christian R. Gartmann wörtlich: „R. haben wir erzählt, daß wir von Türken verjagt worden sind.“ Daraufhin habe R. vorgeschlagen, „den Leuten mal einen Denkzettel zu verpassen und ein Haus anzuzünden, um die Leute zu erschrecken“. Man habe dann den Beschluß gefaßt, Bezin zu besorgen. R. sei zu einer BP-Tankstelle gegangen und mit einem „grauen Behälter“ zurückgekehrt. Vor dem Haus der Familie Genç habe es noch eine „kurze Lagebesprechung“ gegeben, und dann seien Felix K. und Christian B. ins Haus eingedrungen. Die anderen beiden standen „Schmiere“. Danach sei man weggerannt.
Zu einer intensiven Befragung über die Zeitabläufe der nächtlichen Tour kam es gestern noch nicht. Gartmann selbst konnte sich an die Details nicht erinnern. Über diese zeitlichen Abläufe wird es im Prozeß noch eine intensive Beweisaufnahme geben, weil die Verteidigung von Felix K. und Christian B. glaubt, nachweisen zu können, daß ihre Mandanten schon allein aus zeitlichen Gründen zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen sein könnten.
Gartmann war am Pfingstsonntag zunächst von BKA-Beamten als Zeuge vernommen worden. Im Verlauf der Zeugenaussage hatte er Christian R. belastet. Am 3. Juni wurde Gartmann dann verhaftet. Nachdem ein Beamter ihm erklärt hatte, der nächtliche Alibi-Zeuge Karsten H. sei „gekippt“, hatte auch er ein Geständnis abgelegt. Gartmann teilte mit, seit Frühjahr 1992 sei er in der DVU. Walter Jakobs
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