: Meyrinks „Golem“ in der Volksbühne
Fast am Ende holt Meral Yüzgülec eine Dose mit Mehl hervor und bestreut damit die Gegenstände, die sie im Laufe der Vorstellung auf den Bühnenboden geschüttet hat: zwei Stoffpuppen, Ziegelsteine, einen Käfig mit einer präparierten toten Ratte, Murmeln, eine Maske. Das sieht schön aus, friedlich, als ob es schneite, und zaubert ein winterliches Licht auf die Dinge. Mit dem „Golem“ von Gustav Meyrink hat es allerdings genauso viel oder wenig zu tun, wie alles andere, was die Schauspielerin während der eineinhalbstündigen Aufführung im 3.Stock der Volksbühne tut, während sie Fragmente aus dem Roman zu Gehör bringt.
Anna Langhoff, die hier Regie geführt hat, ist offensichtlich der vertretbaren Ansicht, daß man heute Meyrinks phantastische Geschichte aus dem Prager Judenghetto wieder zur Kenntnis nehmen sollte. Dabei hat sie aber weder die Textfassung so eingerichtet, daß die Begegnung Athanasius Pernaths mit der untoten Kreatur als Moment der Selbsterkenntnis deutlich würde, noch läßt sie Yüzgülec gestisch erläutern, worum es geht. Nach der Legende wurde der Golem zum Schutze der Juden von Menschenhand erschaffen. Weil er richtig leben wollte, hat man ihn wieder vernichtet, als Wiedergänger geißelt er seither die Halbherzigkeit und Unfähigkeit der Menschen mit seinem Erscheinen.
Meral Yüzgülec tritt mal (golemisierend?) im wattierten Anzug auf, mit Strumpf über dem Gesicht und riesigen Handschuhen als Händen, mal im Kleid mit Wollstrümpfen, während sie Bruchstücke des Traums von Meyrinks Ich-Erzähler referiert. Einmal stochert sie im Rattenkäfig herum, dann dreht sie am Radio, steigt in einen Koffer oder bindet sich an das von Heidrun Schüler gebaute Holzgerüst, das den engen Treppenaufgang eines Ghettohauses markiert. Ein Inszenierungskonzept wird beim bestem Willen nicht erkennbar. Langhoff läßt eine Schauspielerin sich die Zeit vertreiben, während sie Text repetiert. Manchmal, wenn Yüzgülec sich umzieht, ertönt das Geräusch marschierender Füße über Lautsprecher, manchmal nicht. Einmal erschallt auch „Don't worry, be happy“. Hier ahnt man zumindest einen Mutwillen zur Bedeutsamkeit, der aber in seiner ärgerlichen Ziellosigkeit verpufft. Petra Kohse/Foto: Vincent Voigt
Heute sowie von 29.4.-1.5., 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz, 3.Stock.
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