: Paragraphenreiter
■ "Carl von Ossietzky - Ein deutscher Prozeß"
Ach, er persönlich bedauere die Sache ja zutiefst, aber die deutschen Gesetze seien nun mal so. Der sich da so eifrig in staatstragender Betroffenheit übt, heißt Alexander von Stahl und war zum Zeitpunkt des Interviews noch in Amt und Würden, bevor er dann über einen kleinen Bahnhof stolperte.
„Die Sache“ ist ein bundesdeutscher Justizskandal, der nahezu zwei Jahre ohne besondere öffentliche Resonanz vor sich hindümpelte. Rosalinda von Ossietzky- Palm, die heute 74jährige Tochter Carl von Ossietzkys, hatte die Wiederaufnahme jenes Verfahrens beantragt, in dem ein Reichsgericht ihren Vater 1931 wegen Landesverrats zu 18 Monaten Haft verurteilt hatte. Als Herausgeber der Weltbühne hatte er einen Artikel von Walter Kreiser publiziert, der unter dem Titel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ in ironischer Form auf militärische Anstrengungen hinwies, die in Deutschland durch den Versailler Vertrag strikt untersagt waren.
Heute ist allgemein anerkannt, daß der Vorwurf des Landesverrats den Richtern seinerzeit nur als Vorwand diente, den – so Rechtsanwalt Heinrich Hannover im Film von Elke Suhr – „bestgehaßten deutschen Publizisten“ mundtot zu machen. Und nicht minder unstrittig ist, daß Carl von Ossietzky, Friedensnobelpreisträger des Jahres 1935 und 1938, an den Folgen einer KZ-Internierung durch die Nazis gestorben, eine internationale Rehabilitierung gar nicht nötig hätte.
Mit ihrem Antrag auf Wiederaufnahme verfolgte seine Tochter ,nur' das Ziel, ihren Vater auch juristisch vom Verdikt des Landesverräters zu befreien. Ihr Antrag wurde zunächst vom Berliner Kammergericht und in zweiter Instanz schließlich vom Bundesgerichtshof im Dezember '92 abgewiesen. Was formaljuristisch womöglich gar korrekt war, ist nichtsdestotrotz skandalös, weil die deutsche Justiz hier wieder einmal die große Chance vertat, sich selbst zu rehabilitieren. Im Mittelpunkt des Films von Elke Suhr steht indes weniger das absurd-widerwärtige Gefeilsche um juristische Spitzfindigkeiten seitens bundesdeutscher Gerichte, sondern die akribische Rekonstruktion des Prozesses von 1931 anhand von Protokollen und Notizen, die die Autorin aus diversen Archiven zusammengetragen hat. Die Idee, den Prozeß in Form eines Dokudramas szenisch nachzustellen, ist dabei in ihrer Realisierung nur teilweise gelungen. So bleibt das Ganze eher eine anerkennenswerte Fleißarbeit einer Historikerin denn das überzeugende Projekt einer Filmemacherin. Reinhard Lüke
„Windiges aus der deutschen Luftfahrt“: Sonntag, 21.50 Uhr, West 3; am 24.4., 22.00 Uhr, ORB
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