piwik no script img

Tragödie bei Tageslicht und klarer Sicht

US-Militärs zeigen sich nach dem Abschuß von zwei US-Hubschraubern durch die eigene Luftwaffe über Nordirak betroffen / Die Ursache des Debakels ist jedoch ungeklärt  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Am Ende des Tages, als das Ausmaß des Desasters klar geworden war, klang der offizielle Wortlaut nur noch wie blanker Hohn: „Friendly fire“ (freundliches Feuer) im Rahmen einer Operation mit dem Titel „Provide Comfort“ (Trost spenden) ist die Ursache für den Tod von 26 Besatzungsmitgliedern und Passagieren zweier US-Hubschrauber im Nordirak. In der festen Annahme, es mit zwei irakischen „Hind“-Helikoptern zu tun zu haben, hatten die Piloten zweier US-Kampfbomber am Donnerstag vormittag zwei „Black Hawk“-Hubschrauber der US-Armee über der Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades abgeschossen. Unter den Toten befinden sich ein französcher, zwei britische, drei türkische und fünfzehn US-amerikanische Offiziere sowie fünf Kurden. Bei den Militärs handelt es sich laut Angaben des Pentagons um Angehörige des „Military Command Center“ im nordirakischen Sacho, wo sie als Beobachter der multilateralen „Operation Provide Comfort“ zum Schutz der KurdInnen vor Angriffen der irakischen Armee stationiert waren. Zusammen mit ihren kurdischen Begleitern waren sie offenbar auf dem Weg zu einem Treffen mit UN-Vertretern in Arbil, um die zunehmenden Sabotageakte und Übergriffe irakischer Militärs und damit die Gefährdung für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen im Nordirak zu diskutieren.

Soviel – oder sowenig – gaben US-Verteidigungsminister William Perry und der Vorsitzende der Stabschefs, General John Shalikashvili, am Donnerstag der Presse zu Protokoll. Die ebenso simple wie entscheidende Frage allerdings bleibt bis auf weiteres unbeantwortet: Wie konnte so etwas passieren? „Black Hawk“-Helikopter sind deutlich von „Hind“- Hubschraubern zu unterscheiden; die „Tragödie“, wie US-Präsident Clinton es nannte, ereignete sich bei Tageslicht und klarer Sicht; die Helikopter-Besatzungen hatten ordnungsgemäß ihre Flugpläne eingereicht; die Piloten der beiden Kampfbomber befanden sich unter der Kontrolle eines Awacs- Flugzeugs, das eigens mit einem System zur Identifizierung feindlicher und freundlicher Flieger und Hubschrauber ausgestattet ist; die Sicherheitsrichtlinien bei der Überwachung der 1991 verhängten Flugverbotszone waren kurz zuvor noch einmal von einem General der Air Force überprüft worden. Vor allem aber grübelt man im Pentagon und im Weißen Haus über eines: „Warum“, so ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in der New York Times, „hatten sie es so eilig, die Hubschrauber abzuschießen?“ Beide Piloten hatten keinen Kontakt mehr mit der Bodenstation im türkischen Incirlik aufgenommen, bevor sie ihre Raketen abfeuerten. Clinton versprach eine gründliche Untersuchung des Vorfalls.

Türkische, französische und britische Stellen reagierten am Donnerstag vergleichsweise verhalten und nahmen die Entschuldigungen und Beileidsbekundungen aus dem Weißen Haus entgegen. Sowohl in Großbritannien als auch in der Türkei könnte der Abschuß der Hubschrauber alte Debatten wieder aufleben lassen: Im Golfkrieg hatten US-Bomberpiloten Panzer ihrer britischen Kampfgenossen für Stellungen der irakischen Armee gehalten. Neun Tote und elf Verletzte waren die Folge. 1992 hatte das US-Kriegsschiff „Saratoga“ aus Versehen das Feuer auf ein Schiff der türkischen Marine eröffnet.

Der Abschuß der beiden Hubschrauber ist eines von mehreren Desastern und Fehlschlägen, die in jüngster Zeit das glorreiche Image des US-Militärs aus den Zeiten des Golfkriegs angekratzt haben. So mußten zum Beispiel US-Militärs einräumen, daß bei den von der UNO angeordneten Luftangriffen amerikanischer Kampfflugzeuge auf serbische Stellungen um die belagerte muslimische Stadt Goražde mehrere Bomben gar nicht detoniert sind. Darüber hinaus hat man in Washington, trotz kunstvoller Verdrängung, das Debakel des US-Truppeneinsatzes in Somalia nicht vergessen – vor allem jenen fehlgeschlagenen Einsatz im Oktober 1993, bei dem achtzehn Angehörige von US-Elitetruppen bei dem Versuch ums Leben kamen, den somalischen Warlord Mohamed Farah Aidid festzusetzen. Daß sich diese ursprünglich humanitäre Intervention im Verlauf der Monate zu einer militärischen Suchaktion entwickelte, bei der auch Hunderte von Somalis getötet wurden, ist längst kein Thema mehr. Fünf Navy-Soldaten erhielten vor wenigen Tagen hohe Auszeichnungen für ihre Beteiligung am Debakel in Mogadischu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen