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„Bei Scharping war's spannender“

■ Wilhelmsburg: SPD-Basis zwischen Müllofen und Desinteresse

Die roten SPD-Fähnchen im Schaufenster sind von der Sonne bleich. Im schattigen Ladenbüro des Wilhelmsburger SPD-Abgeordneten Wolfgang Marx sitzen sechs GenossInnen und trinken Kaffee. Auch Ex-Mitglied Klaus Schäfer sitzt rum, schimpft auf die Partei, während die Noch-Genossen mit eingezogener Schulter die lockere Zunge des Bürgermeisters zu verteidigen suchen, „der war echt fertig an dem Abend, als er das mit dem vollen Boot gesagt hat“.

Familientreffen, die Wahl läuft nebenbei. Alle halbe Stunde kommt einer rein, wirft einen gelben Zettel in den zur Urne umgebauten Ikea-Karton.

„Über die Mitgliederbefragung wurde im Distrikt kaum gesprochen“, sagt eine Genossin. Die wenigen Aktiven würden vom Tagesgeschäft in Atem gehalten. Und das heißt zur Zeit: Müllverbrennungsanlage. Und da haben beide Kandidaten - Jörg Kuhbier und Jürgen Mantell - gesagt, daß das Vorgehen der Regierung nicht sauber war.

„Es fehlt der öffentlich wahrnehmbare Unterschied zwischen den beiden“, sagt Wolfgang Marx, „die Scharping-Wahl war spannender.“ Dennoch, der ehemalige Umweltsenator Kuhbier hat bei den kaffeetrinkenden Wahlbeobachtern eindeutig die besten Karten.

Alle vier Wochen wäre der vor Ort gewesen, damals vor zehn Jahren, als es galt, mit Bürgern zu besprechen, was aus dem Dioxingiftberg Georgswerder wird. „Der hat keine Angst, vor Ort die Prügel abzuholen“, sinniert eine Genossin. Eugen Wagner dagegen sei „zu feige, um mit uns über die Fehlbelegungsabgabe zu reden“.

60 Prozent Sozialwohnungen im Stadtteil, die etwas Besserverdienenden ziehen weg, fünf Familien aus einem Wohnblock mit 50 Wohnungen, „das macht zehn Prozent“, rechnet Ex-Genosse Schäfer nach. Wilhelmsburg werde „Standort für schwachverdienende Menschen“. Die Lebensmittelabteilung bei Karstadt hat auch schon zugemacht.

Aber im Grunde könne man Umweltsenator Fritz Vahrenholt dankbar sein. Hat der doch dafür gesorgt, daß deutsche und ausländische Mitbürger alle in einem Boot sitzen und selbst rechte Sozialdemokraten vom „internationalen Widerstand“ gegen die geplante Müllverbrennungsanlage schwärmen. Es hagelt Argumente, sechs MVA-Experten im Raum, nächste Woche gibts sogar ein Müll-Symposium.

Also, wer gewinnt die Wahl? „Der, der die meisten Stimmen hat“, witzelt Heinz Borsum. Der ältere Genosse, der eben noch mitgeschimpft hat, daß das Freibad in Wihlhelmsburg geschlossen wird und genau wie das Arbeitsamt und das Standesamt nach Harburg verlagert wird - hält sich bedeckt.

Was tun die Wilhelmsburger Genossen denn so? „Wir sind keine Köpfenicker, das müssen Sie nicht denken“. Und hätten die SPDler im Ortausschuß nicht rechtzeitig geschaltet, die Sache mit der MVA wäre zu spät publik geworden.

16 Uhr, Stimmenauszählung: 43 von 500 Genossen haben abgestimmt, 33 für Jörg Kuhbier. Es ist wohl so, sagt Heinz Borsum, „in schwierigen Zeiten wählt man die, die am prominentesten sind“.

Kaija Kutter

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