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SanssouciVorschlag

■ Schön schwierig: Ritsos' "Sondeur" im Hebbel Theater / Nachschlag * Nur flott: Schnitzlers "Reigen" am Deutschen Theater

Sie sprechen, um zu leben. Stimmen aus einer unbestimmten Zeit, von einem unbestimmten Ort. Der Einsame und die Rothaarige, das traurige Mädchen und der Hinkende, der Verrückte und die Schöne und weitere dreißig Figuren aus dem Panoptikum des Lebens. Sie erzählen von ihren Katastrophen, sie träumen, sie erinnern sich an das Glück, an die gescheiterte Liebe und an den ständig anwesenden Tod. Doch die Worte verbrauchen sich schnell. So verstummen die Menschen wieder.

Jannis Ritsos' „Der Sondeur“ ist ein kühnes Stück. Es gibt keine Handlung oder Charaktere, nur Wortketten und surreale Stimmen. Doch der Autor will mehr, als die allgemeine Weltskepsis zu bestöhnen. Ritsos, der Lyriker, Kämpfer und Kommunist, wollte ein politisches poetisches Manifest entwerfen. Das Sprechen in dem im sechsten Jahr der griechischen Militärjunta 1973 entstandenen „Sondeur“ ist auch ein verzweifeltes Sprechen gegen ein erzwungenes Schweigen: „In jenen Tagen (genau wie vorher, genau wie nachher) war alles irre, irre, irre.“

Dieses schöne, aber auch schwierige Stück-Gedicht wurde im Winter 1992 im winzigen „theater 89“ uraufgeführt. Sehr ambitioniert, leider sehr verkürzt, folglich sehr erfolglos. Nun ist dem Hebbel Theater, in Eigenproduktion und unter der Regie von Elke Petri, ein zweiter Versuch zu verdanken. Sie (oder doch Bühnenbilder Gert Rohde?) hat die abstrakte Dichtung in ein mächtiges Bild gefaßt: Zwischen schwarzen Seitenmauern und einer zartbläulichen Meeressilhouette, unter einer Art Überwachungsturm, hockt am Boden ein Häuflein von Menschen. Männer und Frauen durch eine Eisenmauer getrennt, zerrissen gekleidet, verzagt, den Wahnsinn in den Augen. Der Ort, scheinbar ein KZ, liegt vielleicht auf jener griechischen Insel, auf der auch Jannis Ritsos Jahre eingesperrt war. Die Insassen dämmern lethargisch dahin, warten, weinen, schreien, sprechen vor sich her. Es ist die Sprache der Angst, der süßen Erinnerung, düstere Nachtbilder und sehnsüchtige Tagbilder. Der Bühnen-Ort ist auch die Welt. Ein kleines kahles Bäumchen im Hintergrund verrät, daß hier auch Becketts „Warten auf Godot“ gespielt wird. Nur daß bei Jannis Ritsos die Menschen sich das Warten nicht mehr mit Späßen vertreiben können.

Die Inszenierung ist anstrengend. Die Schausprecher, teilweise mit Griechen besetzt, demonstrieren mehr dumpfes Leiden, als daß sie der Poesie des Textes nachspüren. Es fehlt das Schweigen vor dem Sprechen, es fehlt die Weisheit, die doch auch im Wahnsinn liegt. Statt dessen prasseln die Worte wie Hagelkörner. Ein Gewitter entlädt sich. Und zieht weiter. Dirk Nümann

Bis 22. April täglich um 20 Uhr im Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.

NachschlagNur flott: Schnitzlers „Reigen“ am Deutschen Theater

Wunderschön leuchten die Sterne, doch die ersten Sätze reißen einen jäh aus der romantischen Stimmung. Denn das Paar – die Dirne und der Soldat – unter dem Sternenhimmel an der Donau versucht sich so verbissen wie erfolglos im Wienerischen. Nach den beiden ersten der insgesamt zehn Szenen des „Reigen“ ändert sich gottlob der Tonfall. In den Stuben, Kammern und Salons der Wiener Gesellschaft – vom Dienstboten bis zum Grafen – wird in einem eigenständigen Ton verführt.

Jürgen Gosch hat zwar flott inszeniert, aber nichts dreht sich in diesem Reigen. Zwischen den einzelnen Szenen fällt der Vorhang, das Reigenhafte wird vernachlässigt. Hier geben sich keine LiebhaberInnen, die sich gegenseitig Treue schwören, die Tür in die Hand. Schnitzlers gnadenloses Konzept – A mit B, dann B mit C, dann C mit D usw. wird nicht ausgespielt. Vor allem Anfang und Ende sind zu bieder und ernstgemeint geraten. Zudem muß sich ausgerechnet die Jüngste im Reigen (Susanna Simon als süßes Mädel) als einzige Frau nackt präsentieren, nicht nur vom Frauenstandpunkt aus ein unglücklicher Einfall. Nur in wenigen Dialogen klingen die Leichtigkeit und die Verlogenheit an, die den „Reigen“ auszeichnen.

Insgesamt wirkt die Inszenierung uneinheitlich und unschlüssig. Sie kann sich nicht so recht entscheiden, ob die Figuren sich gleichbleiben sollen oder sich dem sozialen Status des jeweiligen Partners anpassen sollen. Diese Wahl bleibt anscheinend den SchauspielerInnen selbst überlassen. Michael Maertens (als junger Herr und Graf) und Christian Grashof (als Dichter) machen das Beste daraus. Sie brillieren in diesem Reigen mit ihren Partnerinnen Katrin Klein (als junge Frau) und Simone von Zglinicki (als Schauspielerin).

Liebe, Sex und Erotik sind die Themen, die Arthur Schnitzlers „Reigen“ zu Beginn des Jahrhunderts so viele Prozesse, Skandale und antisemitische Aktionen eingehandelt haben, daß er das Stück sperren ließ. In den Inszenierungen seit 1981 – seit es 50 Jahre nach Schnitzlers Tod wieder für die Bühne frei ist – geht es natürlich nicht mehr darum, Sex und Seele der Wiener zu entlarven. Kein Tabu, das da noch zu brechen wäre. Aber immer noch strahlt der Text den Charme der Heuchelei aus. Jürgen Gosch inszenierte allerdings so laut und plump, so uncharmant, wie es Schnitzlers Stück nicht verdient. Denn mit dem Charme geht auch dessen Gegenstück verloren – der Abgrund. Zehnmal wiederholt sich das Muster: Mann und Frau treffen sich, fallen sich nach kurzen Tugendbeteuerungen in die Arme und dann, wenn es zur Sache kommt, stehen in Schnitzlers Text (zehnmal) die berühmten Striche der Dramenliteratur. Im Deutschen Theater schaltet man einfach zehnmal das Licht aus.

Der große Eklat der Theatergeschichte ist zur Klamotte geworden – flott, unterhaltsam, aber belanglos. Margit Knapp Cazzola

Weitere Aufführungen am 19. und 27.4., 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstraße 13a, Mitte.

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