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Revolte in der SPD

■ Linke Mehrheit scheiterte mit ihrer Liste für den Bundestag / Thierse auf Platz eins / Neue Kungelei oder mehr Demokratie?

Die linke Parteimehrheit in der SPD hat an Einfluß verloren. Der sogenannte Donnerstagskreis scheiterte am Samstag mit seinen Vorstellungen bei der Besetzung der Landesliste zur Bundestagswahl. Die Stimmung auf der Landesvertreterversammlung in der Kongreßhalle am Alexanderplatz war bereits zu Beginn auf dem Tiefpunkt, als sich der stellvertretende Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse um Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl bewarb. Das Präsidium unterbrach die Versammlung mitten in seiner Rede. Der Grund: Die Jungsozialisten sollten aufhören, Flugblätter zu verteilen, die zwei an einem Galgen aufgehängte Menschen zeigten. „Keine Unterstützung für die SPD-Bundestagsabgeordneten, die dem ,Asylkompromiß‘ zugestimmt haben!“ forderten sie und meinten Thierse. Jener konterte: „Das Grundrecht auf Asyl besteht nach wie vor.“ Im Foyer tobte Landeschef Ditmar Staffelt: „Das kotzt mich an.“ Thierse wurde trotzdem mit 243 von 302 Stimmen gewählt.

Deutliche Mißtöne kamen von den Ostberlinern. Siegfried Scheffler, Mitglied des Bundestages, zog seine Kandidatur für die Liste zurück, weil er nur einen aussichtslosen Platz bekommen sollte. „Ich habe Schwierigkeiten mit den innerparteilichen Strukturen“, frotzelte er und bekam mehr Applaus als der Landeschef Staffelt nach seiner Eröffnungsrede.

Als dann der SPD-Linke Kurt Neumann, der sich für mehr staatliche Ausgaben im Sozialbereich stark machte, entgegen dem Votum des Landesvorstands nicht auf Platz drei gewählt wurde, war der Eklat da. Die Genossen hatten dem Kandidaten die nötige absolute Mehrheit verweigert.

„Für die alte Betonriege gibt es keine Mehrheit mehr“, triumphierte Frank Bielka, Vertreter der rechten Minderheit, nun über die Parteilinke. Jetzt war der dritte Platz für Jugendsenator Thomas Krüger frei, den die Linken nur auf Platz fünf sehen wollten. Er kandidierte und wurde gewählt. Über die sichtbare Kräfteverschiebung nach rechts freuten sich die Kreisverbände Spandau und Tempelhof, die dem Donnerstagskreis angehören. Spandaus Vorsitzende Ursula Brandt hatte es offenbar satt, daß ihr Kreis bei den Parteilinken „nur die Rolle des Mehrheitsbeschaffers“ spielen sollte. Der Frust unter den Mitgliedern in Berlins Nordwesten sei so groß, daß bereits „andiskutiert“ worden sei, ob Spandau und Tempelhof den Donnerstagskreis verlassen und neben dem rechten Britzer Kreis eine dritte Kraft in der Partei bilden sollten. Staffelt berichtete von Diskussionen in Tempelhof, die auch „in diese Richtung gehen“.

Aus der Tatsache, daß Neumann durchgefallen war, schloß er, daß mehr Offenheit in der Partei gewünscht werde. Die Ostler hätten mit ihrer unkonventionellen Art – ihre Kreisverbände sollen sich weder der Parteirechten noch der Linken zuordnen lassen – zum überraschenden Verlauf der Versammlung beigetragen. Staffelt wollte von einem Rechtsruck bei den Berliner Sozialdemokraten allerdings nichts wissen.

Vertreter des Donnerstagskreises widersprachen dagegen der These von offeneren Strukturen. Neumann warf seinen Gegnern „viel erfolgreichere Kungelei“ vor. Spandau sei sauer gewesen, daß mit Wolfgang Behrendt ihr Kandidat erst für Platz sechs vorgeschlagen war. In der Kongreßhalle kursierten dann auch Gerüchte, daß es nach dem „Denkzettel“ zwischen Parteilinken und Spandau Absprachen gegeben habe: Ihr unterstützt weiterhin Behrendt, dann wählen wir Neumann auf Platz fünf. Monika Buttgereit, Vorsitzende des Donnerstagskreises, bestätigte „Gespräche am Rande“.

Der für 13 Uhr angesetzte Landesparteitag mußte am Samstag verschoben werden, nachdem Neumann durchgefallen war. Der ursprüngliche Zeitplan war nicht mehr zu halten, die Wahl der Liste war bis in die frühen Abendstunden nicht beendet. Das jugendpolitische Programm soll nun auf einem Sonderparteitag Ende Mai beschlossen werden. Dirk Wildt

Die Direkt-Kandidaten

Die Landesliste

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