piwik no script img

„Wir streiken marktwirtschaftlich“

Im Tarifstreit der Druckindustrie beginnt heute das dritte Schlichtungsgespräch / Hauptstreitpunkt ist der neue Manteltarifvertrag / Bisherige Warnstreiks kommen auf leisen Sohlen daher  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – An Zeitungsmuffeln geht der Tarifstreit in der Druckindustrie nahezu gänzlich vorbei: kein öffentliches Getöse, keine rote Fahnenflut auf den Marktplätzen der Republik wie eben noch bei der IG Metall. Nein, der Kampf der Drucker findet hinter verschlossenen Türen statt. Nur ZeitungsleserInnen wissen, daß da was im Busch ist. Ungewöhnlich leicht kam so manche Frühstückslektüre in der letzten Woche daher. Es fehlte zumeist das, was den Verlegern am meisten am Herz liegt – der Anzeigenteil. Diesen ertragreichen Zeitungsseiten galt das eigentliche Interesse der Drucker und Setzer. Die Warnstreiks sollten da treffen, wo es besonders schmerzt: am Geldbeutel.

Offenbar ging die Rechnung der IG Medien, mit neuen, flexiblen Streikformen auf die Herausforderung der neuen Technik zu reagieren, weitgehend auf. Für den Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Dieter Schröder, bewegen sich die neuen, internen Arbeitskampfempfehlungen der Gewerkschaft „am Rande der Legalität“, man könne sie „durchaus als Guerilla-Taktik bezeichnen“. Die neue Taktik bringt der Sprecher des nordrhein-westfälischen Landesbezirks der IG Medien, Günter Isemeyer, so auf den Punkt: „Wir streiken jetzt marktwirtschaftlich.“ Das Profitprinzip einmal andersherum: Wenig Leute sollen einen möglichst großen Ertragseinbruch – und damit maximalen Druck – bewirken. Deshalb nimmt der in Gewerkschaftskreisen verbreitete Reiz der großen Zahl rapide ab. Mit dem klassischen Massenstreik läßt sich im Druckbereich immer weniger erreichen, weil die neue Technik es erlaubt, umfangreiche Notausgaben durch Journalisten, außertarifliche Angestellte und zeitlich befristet gedungene Streikbrecher an den Streikenden vorbei zu produzieren.

Isemeyer: „Die KollegInnen streiken mit mehr Köpfchen, gezielt und möglichst unberechenbar.“ Mal im Satzbereich, dann bei der Plattenherstellung, bei der Einrichtung von Maschinen oder, so schlägt das Arbeitskampfpapier vor, auch mal beim Putzen. Mit unsauberen Druckmaschinen läßt sich kein Geld verdienen ...

Ob sich der Konflikt weiter zuspitzt, entscheidet sich heute in Frankfurt. Noch einmal versucht sich der Präsident des Bundessozialgerichts, Heinrich Reiter, als Schlichter. Am letzten Donnerstag gingen die Kontrahenten in Düsseldorf ohne jede Aussicht auf Einigung auseinander. Der Bundesverband Druck lehnt vor allem die gewerkschaftlichen Forderungen zur Neufassung des Manteltarifvertrages ab. Das Paket sei „nicht kompromißfähig“, und deshalb sei man „nicht bereit, über diese Forderungen weiter zu verhandeln“.

„Wir lassen uns nicht zu Bettlern machen“

Die Arbeitgeber wollen nur über ein neues Lohnabkommen sprechen und verlangen, daß der Manteltarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen in der Branche insgesamt regelt, in seiner jetzigen Form zunächst für fünf Jahre verlängert wird. „Nach Inkraftsetzung“ könne man dann über notwendige Änderungen reden. „Ein solches Vorgehen“, so entgegnet Hermann Zoller, der Pressesprecher der IG Medien, „würde die Gewerkschaft fesseln“, weil dann auch die Friedenspflicht wieder in Kraft träte. Gegen den Willen der Unternehmer sei dann nichts mehr durchzusetzen. Zoller wörtlich: „Wir werden uns nicht zu Bettlern machen lassen, die von der Gnade der Unternehmer abhängen.“

Die traditionell linke Druckergewerkschaft will nach den Worten ihres Vorsitzenden Detlef Hensche mittels Manteltarifvertrag versuchen, „Versäumnisse der Politik auf dem Feld der Schichtarbeit auszugleichen“. So soll eine von den Arbeitgebern finanzierte Tarifrente es besonders belasteten Schichtarbeitern ermöglichen, schon mit 58 Jahren auszuscheiden. Die Gewerkschaft verweist darauf, daß die Belastungen durch Schicht- und Nachtarbeit in der Druckindustrie wesentlich dafür verantwortlich seien, daß ein Drittel der Beschäftigten noch vor Erreichen des Rentenalters stürben. Ein weiteres Drittel scheide wegen Frühinvalidität vorzeitig aus. Für ältere Schichtarbeiter soll es nach den Vorstellungen der IG Medien deshalb auch zusätzliche Freischichten geben. Daneben fordert die Gewerkschaft mehr Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitsplatzgestaltung und betriebliche Pläne zur Frauenförderung. Das ganze Forderungspaket würde die Lohnkosten den gewerkschaftlichen Berechnungen zufolge in den nächsten fünf Jahren – je nach Umfang der betrieblichen Schichtarbeit – um 3 bis 11,3 Prozent erhöhen. Die Arbeitgeber sprechen dagegen von einer „finanziellen Keule“ zwischen 45 und 52 Prozent.

Das eigentliche Lohnabkommen wird vom Ringen um einen neuen Manteltarifvertrag schon fast verdrängt. Die Gewerkschaft fordert fünf Prozent mehr Lohn. Einen Abschluß von zwei Prozent – und damit die Hinnahme realer Einkommensverluste – würden nach den Metallern aber wohl auch die Drucker schlucken. Doch die Arbeitgeber wollen mehr. Neben einer Flexibilisierung der wöchentlichen Arbeitszeit „um einen Korridor nach oben und nach unten“ verfolgen sie das Ziel, den Samstag wieder zum Regelarbeitstag zu erheben. Bei dieser Ausgangslage scheint eine Einigung heute so gut wie ausgeschlossen. Die Unternehmer sollten sich über „unsere Entschlossenheit keine Illusionen machen“, sagt Günter Isemeyer: „Wir haben uns auf eine lange Phase eingerichtet.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen