■ Nach dem Fiasko der UNO in Goražde: Resignation und Wille
Angesichts des Schicksals der über 60.000 Menschen in Goražde und angesichts der Tatenlosigkeit der Internationalen Staatengemeinschaft ist nur noch abgrundtiefe Scham zu empfinden. Das Wissen, daß, während diese Zeilen geschrieben werden, wahrscheinlich schreckliche Verbrechen geschehen, die hätten verhindert werden können, stellt das Gewissen jedes Menschen persönlich auf den Prüfstand. Und Antwort auf die Frage zu geben, hast du alles getan, um dies zu verhindern? fällt schwer. Natürlich nicht. Nicht jeder ist ein Schindler.
Es hilft nicht einmal mehr, andere verantwortlich zu machen. Es hilft nicht zu beklagen, daß der Krieg in Bosnien auch in unserer Öffentlichkeit falsch verstanden wird, indem er vor allem als ethnischer Konflikt interpretiert und der Aufstieg eines neuen Faschismus und die damit zusammenhängenden Konsequenzen für unsere Gesellschaft verschleiert werden. Es bringt auch wenig, die Unfähigkeit der UNO-Bürokraten zu geißeln: diese Mischung aus Naivität, Unverständnis, menschlicher Kälte und Gebundenheit an politischen Interessen. Es ist zwar immer wieder ein Schockerlebnis, sehen und spüren zu müssen, wie Arroganz und Karrieredenken sich abheben von den realen Zuständen, sich abheben von den Schicksalen von Millionen Menschen und auch von den UNO-Soldaten, die immerhin ihr Leben riskieren. Warum sollte die Bürokratie der UNO diesbezüglich besser sein als diejenige der Mitgliedsstaaten?
Wenn selbst in dem einzigen Land, in dem der Bosnienkrieg entlang der Linien der Verteidigung der Menschenrechte diskutiert und die Regierung deshalb unter Druck gesetzt ist – den Vereinigten Staaten von Amerika –, Präsident Clinton am Sonntag abend öffentlich vertritt, daß es keine weiteren Aktionen der Nato zur Rettung der Menschen in Goražde geben werde und damit die Verteidiger endgültig zum Abschuß freigegeben werden, dann ist es müßig, über den Auftrag von UNO und Nato zu lamentieren. Ob nun peace-keeping- oder peace-enforcing-Strategien gefahren werden, wenn der politische Wille nicht vorhanden ist, den Mördern und Verbrechern, den wildgewordenen Kleinbürgern, den Provinzstrategen mit aller Kraft entgegenzutreten, dann bleibt das Schicksal vieler Menschen auch in anderen Regionen dieser Welt höchst ungewiß. Ruanda ist jüngstes Beispiel dieser Attitüde. Es ist für die verantwortungsbewußten Menschen in aller Welt höchste Zeit, nicht nur die Mechanismen der Konfliktregulierung neu zu definieren, sondern den politischen Willen dafür überhaupt neu zu begründen.
Was Bosnien betrifft, bleibt noch, den Gedanken aufzugreifen, die UNO solle sich gänzlich zurückziehen. Dann könnten wenigstens noch jene, denen das Schicksal der bosnischen Bevölkerung nicht völlig gleichgültig ist, versuchen, das Waffenembargo gegen die bosnische Armee aufzuheben. Es ist kein Trost, darauf hinzuweisen, daß eine neue Runde im Krieg viele Opfer fordern wird, weit mehr, als eine nachdrückliche Aktion der UNO oder Nato gefordert hätte. Doch immer noch besser dies, als einen Zustand zu verlängern, in dem die UNO-Führung so tut, als schützte sie die Menschen, um sie gleichzeitig dem Gegner auf dem Präsentierteller zu servieren. Dann könnte sich wenigstens der Zynismus von UNO-Offiziellen nicht mehr wiederholen, wenn sie davon sprechen, nach einem Abzug der UNO-Beobachter aus Goražde bestünde ja keine Notwendigkeit mehr, die Stadt noch zu verteidigen. Für solche Leute scheint nämlich klar, daß es auf dieser Welt nunmehr zweierlei Menschen gibt: wertvolle und zu schützende UNO- Mitarbeiter und die lebensunwerten Opfer einer serbischen Aggression. Erich Rathfelder
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