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Plötzlich fallen neben der Kirche Schüsse

Eine Woche vor den Wahlen in Südafrika wird der Konflikt in Natal heftiger / Inkatha-Häuptlinge wollen ihre traditionellen Privilegien und ihre Macht über die Townships bewahren  ■ Aus Lindalani Willi Germund

Die zweihundert Männer grölen immer lauter und drängen immer näher heran. Durch die Luft weht der terpentinartige Geruch von billigem Schnaps. Eingekeilt zwischen einem gelben Panzerwagen der Polizei und dem eigenen weißen Fahrzeug, läßt die junge deutsche Jura-Studentin Miriam Junker, die zu der Gruppe der kirchlichen „Friedensbeobachter“ gehört, Schimpfkanonaden über sich ergehen, als Häuptling Shabalala im silbergrauen Mercedes heranbraust. Die Windschutzscheibe seines Wagens ist mit blau-weißen Aufklebern geschmückt. Der Text neben einer Taube: „Friede in unserem Land.“

Einen Leibwächter mit einem deutschen G-3-Sturmgewehr im Schlepptau, bahnt ein Begleiter Shabalala einen Weg durch seine Anhänger. „Lassen Sie meine Leute in Ruhe, Sie haben hier in Lindalani nichts zu suchen!“ brüllt er die drei Friedensbeobachter der Kirchengruppe NIM an. „Das ist mein Township! Sie müssen sich erst in meinem Büro eine Erlaubnis holen, wenn Sie hierherkommen wollen!“ Zwei Männer schwenken ein Poster mit dem Bild von Mangosuthu Buthelezi, dem Führer der konservativen Schwarzenbewegung Inkatha, als dem Häuptling Shabalala ein Nachsatz einfällt: „Hier gibt es nur ein Problem, das gelöst werden muß. Die Leute da hinten müssen verjagt werden.“ Und er zeigt auf den Hügel, auf dem nur ein Steinwurf entfernt eine katholische Kirche zwischen einigen Häusern steht.

Malerisch neigt sich die Sonne am Horizont. Plötzlich fallen neben der Kirche Schüsse: Ein paar Männer von Inkatha haben sich an das Gebäude geschlichen und das Feuer eröffnet. Ein Junge wird in die Hüfte getroffen. Blut sickert in den Staub.

„Die Leute da drüben gehören zu Inkatha“, hatte erst am Morgen an der Kirche der 47jährige Sampson Nxumalo erzählt und auf die Tausenden von Wellblechhütten und Pappkartonbehausungen gezeigt, in deren Mitte sich wie ein Palast das gelbe Haus von Häuptling Shabalala erhebt. Sein eigenes Häuschen, ein roter Klinkerbau, liegt an einem Pfad abseits der Straße. Nur zehn Meter entfernt, auf der anderen Seite des Gartenzauns, wohnt in einer runden Lehmhütte sein Nachbar. „Wir waren Freunde“, sagt Nxumalo, „aber jetzt können wir nicht mehr miteinander reden. Er gehört zu Inkatha, und die Leute dort behaupten, wir hier seien alle ANC.“

Seine Frau und Kinder hat Nxumalo zu Freunden in die nahe gelegene Hafenstadt Durban geschickt. Das Haus steht leer. Im Schlafzimmer sind zwei Wände von Splittereinschlägen einer Handgranate übersät. Ein Loch am Fußboden, verkohlte Gardinen und zerborstene Eternitplatten auf dem Dach zeugen von der Gewalt der Explosion. „Ich hörte ein Geräusch“, beschreibt Nxumalo den Überfall um Mitternacht am Osterwochenende, „ich bin aufgesprungen und zur Tür hinausgerannt.“ Einige Granatsplitter trafen den Angestellten eines Möbelgeschäfts in den Rücken. „Es ist ein Wunder, daß ich noch lebe“, sagt Nxumalo. Vor einem weißgestrichenen Haus gleich neben der Kirche packt sein Schwager Möbel auf einen Lieferwagen. „Falls das Haus angesteckt wird, brennt es ohne Einrichtung nicht so gut“, erklärt Sampson Nxumalo. Mit seinem möbelverladenden Schwager schläft er weiter in dem Haus neben der Kirche, damit es nicht von den Nachbarn jenseits des Gartenzauns besetzt wird. Die Menschen hier besitzen so wenig, daß die Sorge um die geringe Habe und die Angst um das kleine Häuschen stärker sind als die Furcht vor dem Tod.

„Die Anführer sagen etwas“, erklärt Nxumalo, „die Anhänger interpretieren und befolgen es.“ Seit einer Woche werden die Angriffe in Lindalani täglich schlimmer. Jeden Tag wird geschossen, und nach Shabalalas Rede vor den Friedensbeobachtern dürfte nicht nur klar sein, daß die Leute im „ANC-Sektor“ vertrieben werden sollen, sondern auch, daß neutrale Friedensbeobachter keinen Respekt mehr verdienen. „Die Ausländer wollten nicht bei den Verhandlungen zwischen Buthelezi und Mandela vermitteln, also haben sie auch hier in den Townships nichts zu suchen“, hatte Shabalala gesagt. „Sie wußten, worüber wir in der letzten Woche verhandelten, und sie sind wieder abgereist.“

„Natürlich gibt es auch Neid auf die besseren Häuser“, erklärt Pater Duncan MacKenzie die Spannungen in seiner 1.800 Katholiken starken Gemeinde. „Aber für Shabalala sind wir alle ANC.“ Die Kommunion des Sonntagsgottesdienstes ist vorüber, der Kirchenchor schweigt, die Zeit für Nachrichten aus der Pfarrei ist gekommen. Pater MacKenzie liest die Liste der Opfer vor: ein Toter, zwei Verletzte. Die Gläubigen von der anderen, der Inkatha-Seite wagen sich längst nicht mehr zu ihm in den Gottesdienst.

„Shabalala hat mittlerweile die Kontrolle über die meisten Viertel hier erkämpft“, sagt der Pater vom Orden der Oplaten. Damit ist der Warlord einer der mächtigsten Männer in der Umgebung von Durban. Er beherrscht weite Teile des Townships KwaMashu mit seiner einen Million Einwohner. Lindalani, der eigentliche Wohnsitz des Warlords, liegt in Ntuzuma, wo noch einmal knapp 900.000 Menschen ihr Leben fristen.

„Kontrolle“, so fährt der Pater fort, während er die mit 200 Flüchtlingen überfüllten Räume seines Pfarrhauses vorführt, „will er nicht wieder abgeben.“ Laut Südafrikas bisheriger Gesetzgebung verfügen die Häuptlinge in den „Homelands“, den in den 70er Jahren eingerichteten Schwarzenreservaten Südafrikas, über Landrechte. Nur Shabalala kann in dem zum Homeland KwaZulu gehörenden KwaMashu und Ntuzuma Urkunden über Landeigentum ausstellen — und er vergibt sie nur an Leute, die loyal zu ihm stehen. Südafrikas neue Verfassung aber, die nach den ersten demokratischen und allgemeinen Wahlen in einer Woche in Kraft tritt, vernichtet diese Macht mit einem Federstrich.

Kein Wunder, daß Shabalala wie auch die meisten anderen Häuptlinge, die die konservative Schwarzenbewegung Inkatha mit ihrem Führer Mangosuthu Buthelezi unterstützen, die Wahlen verhindern wollen. Für die Wahltage wurde deshalb Imbizo ausgerufen — kein Zulu darf sein Haus verlassen, niemand darf arbeiten gehen. „Sie werden Straßensperren errichten“, sagt Pater MacKenzie, während er im Schutz einer Mauer auf Gruppen von Inkatha-Anhängern zwischen Häusern und Büschen blickt, „und jeder, der trotzdem Lindalani verläßt, wird dann als ANC-Mitglied gebrandmarkt.“

Es wird dunkel. Zeit, das unübersichtliche und hügelige Gebiet von Lindalani zu verlassen. Plötzlich rast ein Auto heran, laut peitschen Pistolenschüsse durch die Dämmerung. Über einigen Polizeipanzerwagen steigen Leuchtraketen auf und belegen Lindalani mit einem blutroten Lichtschleier. „Die letzte Nacht war verhältnismäßig ruhig“, sagt Pater MacKenzie per Telefon am nächsten Morgen. Dann macht er sich auf die Suche. Er muß herausfinden, in welche Krankenhäuser die Verletzten der Nacht gebracht wurden.

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