: Mit schönen Grüßen, Ihre Telekom!
Mehr als 16.000 Mark soll ein Kölner der Telekom zahlen, dabei telefoniert er nur für 100 Mark im Monat ■ Von D. Schmalenberg
Köln (taz) – Werner Rader steht eine Pfändung ins Haus. Insgesamt geht es um 16.029,68 Mark, und die will die Telekom von ihm. Der 45jährige Kölner soll im November 1992 9.962,33 Mark (43.254 Einheiten) vertelefoniert haben. Im darauffolgenden Monat sollen es 4.754,47 Mark (20.621 Einheiten) gewesen sein. Hinzu kommen die Verzugszinsen, denn Rader („im Monat telefoniere ich für höchstens 100 Mark“) will nicht zahlen. Sein Telefon ist deshalb seit Monaten gesperrt.
Als „Unverfrorenheit“, die sich „nur ein Monopolunternehmen erlauben kann“, bezeichnet Monika Gebauer-Roloff von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände in Bonn das. Die Konsumenten seien der „Willkür der Telekom hilflos“ ausgeliefert: „Ein einzelner hat doch keine Chance, denen einen Fehler nachzuweisen.“ Deshalb müsse die Beweislast umgekehrt werden. Überfällig seien Rechnungen, in denen die Telekom Gespräche einzeln ausweist. Die soll es ab April geben. Und zwar gegen eine einmalige Zahlung von 32,50 Mark und monatlich fünf Mark. Möglich ist dies jedoch nur da, wo digitalisierte Vermittlungsstellen beteiligt sind. Bundesweit gilt dies bisher nur für 30 Prozent der Anschlüsse. Doch: „Technische Defizite dürfen nicht zum Vorteil der Telekom umgemünzt werden“, meint Roloff-Gebauer.
„Ein Durchbruch“ sei noch nicht in Sicht, meint auch Doris Belz von der „Interessengemeinschaft gegen überhöhte Telefonrechnungen“ in Essen. Zumal alle Verfahren, in denen zugunsten von Telekomkunden entschieden worden sei, in die Berufung gingen. Die verblombten Zähler, die die Telekom seit dem 1. März auf Wunsch in der Wand des Kunden anbringt, seien „zwar teuer, bringen aber nichts“. Wie die alten würden auch die neuen Zähler vor Gericht nicht als „rechtskräftiger Beweis“ anerkannt, meint Belz. Telekom-Sprecher Günther Bruchmüller von der Generaldirektion in Bonn entgegnet, daß die „Neuen“ zumindest „ein starkes Argument, eine Argumentationshilfe“ sein könnten: „Wenn die Werte von denen im Fernmeldeamt stark abweichen, müssen wir das erklären.“
Deutlich zu hoch war auch die Telefonrechnung von Ralf Genings: 20.353 Einheiten (4.779,73 Mark) sollten er und seine Frau im Februar 1993 vertelefoniert haben. „Totaler Quatsch“ schimpfte der 25jährige Kölner und legte Einspruch ein. Mit Erfolg: Im April gestand die Telekom ein, daß „durch einen Fehler Einheiten nicht richtig berechnet wurden.“ 279,73 Mark sollten nun gezahlt werden. Doch auch dieser Betrag sei zu hoch, meinen die Betroffenen: „Wir führen fast ausschließlich Ortsgespräche und stoppen da mittlerweile auch die Zeiten mit.“
Gerade die unverplombten Verteilerkästen verführen zum Mißbrauch. In der Schweiz sei nachweislich mindestens eine Hausgemeinschaft von Computer- Kids ausgebeutet worden, die sich an Kästen angeklemmt hätten, bestätigt der Hamburger Informatiker Professor Klaus Brunnstein: „Die genauen Schaltpläne waren zuvor in einer Mailbox für Hacker erläutert worden.“ Zwischen dem Anschluß in den Wohnungen und den Einheitenzählern in den Fernmeldeämtern gebe es „zahlreiche Möglichkeiten zur Manipulation“, konstatiert Brunnstein: „Nahezu nirgendwo hat die Telekom ihr Leitungssystem wirksam unter Kontrolle“. Außerdem würden auch in deutschen Hacker-Mail- Boxen Mißbrauchsanleitungen für einzelne Verteilerkästen stehen. Diese internen Informationen – etwa die genauen Sendefrequenzen und Schaltpläne – erhielten die Hacker „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von Telekom-Mitarbeitern: „Es gibt keine andere Erklärung“, glaubt Brunnstein. Die „Telekom- und Hackerszene“ sei teilweise eng verzahnt: „Da besteht so etwas wie eine Haßliebe.“
Eine weitere Fehlerquelle sei das „hochgradig komplexe Leitungsnetz“, in dem überalterte mechanische und hochmoderne computergestützte Vermittlungs- und Gebührenaufzeichnungsverfahren eingesetzt würden. Insbesondere da, wo die unterschiedlichen Systeme aufeinanderträfen könnten „Phantomanrufe“ entstehen – also Gespräche gezählt werden, die nie geführt wurden. Der Informatik- Experte vermutet, daß in den durch Computer gesteuerten Vermittlungsstellen die Möglichkeit besteht, mittels eines elektronischen Codes unbemerkt „Rück- Gespräche“ zu führen – Telefonate auf Kosten Dritter.
Diese R-Gespräche seien zwar prinzipiell möglich, aber nur wenn ein Mitarbeiter der Telekom sie vermittele, entgegnet Telekom- Sprecher Bruchmüller. Er betont, daß jeder Eingriff in das Fernmeldenetz eine Straftat sei. Gegen 400.000 der etwa 430 Millionen Telefonrechnungen sei 1993 Widerspruch eingelegt worden, 45.000 Rechnungen seien fehlerhaft gewesen. Bisher sei noch „kein einziger“ Fall bekanntgeworden, wo ein Telekom-Mitarbeiter interne Daten weitergeleitet habe.
Ralf Prehn vom „Chaos-Computer-Club“ (CCC) in Hamburg weist auf ein weiteres Problem hin. Insbesondere 0130-Nummern, die ins Ausland gehen, könnten manipuliert werden. Die „Computer- Phreaks“ (US-Kunstwort aus „phone“ und „freaks“) überlisteten dabei die Vermittlungsrechner der Telefongesellschaften, die das Gespräch in der Bundesrepublik und im Ausland koordinieren.
„Seit Anfang des Jahres haben wir dem einen Riegel vorgeschoben“, sagt Telekom-Sprecher Bruchmüller. Falsch, das funktioniere immer noch, entgegnen Hacker. Die Rechner nämlich kommunizieren mit Tönen. „Wer sich dazwischenschaltet und die richtigen Laute benutzt, kann weltweit mit jedem Anschluß telefonieren“, erläutert Prehn. Bei privaten Anschlüssen wäre dies nicht möglich: „Denn da gibt es keinen Rechner, der überlistet werden könnte.“
Vor dem Kölner Amtsgericht geklärt werden sollte auch der Fall von Hermann Antretter aus Dellbrück. Für Juni und Juli 1992 bekam er eine Telefonrechnung in Höhe von 1.904,39 Mark. „Das kann nicht sein“, meinte der Kölner und legte Widerspruch ein. Die Verhandlung wurde auf den 4. Februar dieses Jahres terminiert. In seiner Klageerwiderung verwies Rechtsanwalt Jürgen Schulte 1. auf ein Urteil des Amtsgerichts Aachen vom Mai 1993. Dort hatte ein Telekom-Kunde den „ersten Anschein“ durch Gegenbeweis entkräften können. Weil sein Gebührenzähler auch tickte, als er am Arbeitsplatz war, wurde die Beweislast umgekehrt und der Kunde brauchte Rechnungen in Höhe von 5.500 Mark nicht zahlen.
Auch sein Mandant habe Zeugen für seine Unschuld, argumentierte Schulte. Die Telekom widersprach dem zwar, einen Tag vor Prozeßbeginn lenkte sie jedoch ein. Nach Durchsicht der Akten sei eine „Unstimmigkeit erkennbar geworden“, deshalb unterbreite man nun einen „Vergleichsvorschlag“: 242,19 Mark statt fast 2.000 Mark. Was unter dieser plötzlichen „Unstimmigkeit“ zu verstehen ist, weiß Antretter bis heute noch nicht.
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