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Gewerkschafter in akuter Gefahr

Ein anerkannter politischer Flüchtling aus der Türkei soll ausgeliefert werden / Dem 57jährigen, lungenkranken Mann drohen dort Folter und möglicherweise die Hinrichtung  ■ Von Hans-Hermann Kotte

Berlin (taz) – Am 30. August 1983 nahm sich der türkische Oppositionelle Cemal Altun durch einen Sprung aus einem Fenster des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin das Leben. Altun fürchtete die Auslieferung an die Türkei. Nun, mehr als zehn Jahre später, steht in Berlin die Auslieferung des türkischen Gewerkschafters Mahmut Özpolat (57) bevor. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen medico international und amnesty international drohen dem schwer lungenkranken Mann in der Türkei Folter und Tod.

„Angesichts der gerade in diesen Tagen eskalierenden staatlichen Gewalt in Kurdistan bedeutet die Auslieferung akute Gefahr für Mahmut Özpolats Leib und Leben“, so medico. Özpolat selber fürchtet, daß ihm in der Türkei die Hinrichtung droht.

Das Schicksal Özpolats, der Mitglied der Türkischen Arbeiterpartei gewesen sein soll, weist Parallelen zum Fall Altun aus den 80er Jahren auf: Özpolat sitzt seit Monaten in Auslieferungshaft. Und wie bei Altun gibt es laut Özpolats Anwalt Olaf Franke „vorgeschobene Vorwürfe krimineller Delikte“, mit deren Hilfe die türkischen Behörden eines Oppositionellen habhaft werden wollten.

Dem Gewerkschafter, der 1981 aus der Türkei fliehen mußte und auch im Exil an Aktivitäten der kurdischen und türkischen Opposition teilnahm, wird „Anstiftung zum Mord“ vorgeworfen. Die Anschuldigungen wurden 1980 unmittelbar nach dem Militärputsch erhoben.

In den Akten sollen sich aber, so „medico“, keine Anhaltspunkte zu diesem Vorwurf befinden. Auch habe Özpolat nach eigenem Bekunden mit der Tat nichts zu tun. Grundlage für den Beschluß des Berliner Kammergerichts, das unlängst die Auslieferung für rechtmäßig erklärte, sind laut Anwalt Franke nicht Beweise und Zeugenaussagen gewesen.

Basis seien ein Haftbefehl und der schlecht übersetzte Auslieferungsantrag der türkischen Ermittlungsbehörden. Eine derzeit laufende medico-Kampagne gegen die Auslieferung wird von Pax Christi, dem Komitee für Grundrechte und Demokatie sowie Grünen und PDS unterstützt (Kontakt-Telefon: 030/611 50 58).

Özpolat ist seit 1988 als politischer Flüchtling anerkannt und besitzt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Zwar erhielt der Mann, der über Syrien und den Libanon in die BRD gekommen war, hier kein Asyl – er ist aber in Besitz eines UN-Flüchtlingspasses.

Özpolats Anwalt hat Anfang April gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe eingelegt. Die Entscheidung, ob der Flüchtling nun tatsächlich ausgeliefert wird, liegt beim Bonner Justizministerium. Dessen Sprecher Matthias Weckerling sagte der taz, daß die Akten des Falles Özpolat „vorerst geschlossen“ blieben. Die Entscheidung über die Auslieferung werde erst dann fallen, wenn klar sei, ob das BVG die Verfassungsbeschwerde annehme.

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