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„Beim Nachtdienst haben die Pfleger Angst“

■ Doppelmord an Pflegekräften in einem Altenheim immer noch ungeklärt / Die Senioren kehren zur Tagesordnung zurück, nachts patrouilliert der Wachschutz

Bei der Aufklärung des Mordes an zwei Pflegekräften im Lichtenrader Altenheim „Georg Kriedte Haus“ kommt die Polizei offensichtlich nicht weiter. Für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, hat sie gestern 10.000 Mark Belohnung ausgesetzt. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, erklärte der Leiter der zuständigen Mordkommission, Konrad Zehnpfenning. Die Darstellung einer Zeitung, wonach der türkische Freund des einen Opfers der Täter sei, „ist wilde Spekulation“.

Die 37jährige Pflegerin Gabriela S. und ihr 27jähriger Kollege Marco H. wurden vergangenen Mittwoch morgen vom Hausmeister tot in der Stationsküche des „Georg Kriedte Haus“ gefunden. Beide waren durch 31 Messerstiche umgebracht worden und lagen an Stühlen gefesselt auf dem Boden. In dem städtischen Altenheim wohnen 109 Senioren, die Mehrzahl in Appartements. Die Tat geschah im Krankenpflegebereich, in dem 31 alte Damen und Herren in Doppelzimmern untergebracht sind. Gabriela S. und Marco H. hatten in jener Nacht allein auf der Station Dienst, was bei Abteilungen dieser Größe nach Angaben von Heimleiter Horst Kirschbaum ganz normal ist.

Rätselhaft ist, daß keinerlei Spuren auf einen Einbruch oder Diebstahl schließen lassen. „Es wurde nichts durchwühlt“, so Chefermittler Zehnpfenning, der von mehreren Tätern ausgeht. Denkbar sei, daß die Täter draußen nicht erkannt hatten, daß das „Georg Kriedte Haus“ ein Altenheim ist, „in dem man herzlich wenig klauen kann“. Drinnen seien sie möglicherweise von den Pflegern überrascht worden. „Die Tötung“, so Zehnpfenning, „war vielleicht gar nicht geplant, sondern tragische Folge einer Konfrontation.“ Spekulationen, die Täter seien unter den Senioren zu suchen, hält der Kripobeamte für „hanebüchenen Unsinn“. „Die alten Leute sind dazu physisch überhaupt nicht in der Lage.“

Dieser Ansicht sind auch der Heimleiter und der Tempelhofer Sozialstadtrat, Detlef Schmidt (CDU). „Die meisten Pflegepatienten werden gefüttert und gewindelt, sind schwerhörig, körperlich und geistig gebrechlich“, empört sich Schmidt über ein Boulevardblatt, das krampfhaft an der blutrünstigen Story des Aufstands der unterdrückten Alten gegen die bösen Pfleger weiterstrickt: 31 Messerstiche, 31 Patienen zur Betreuung – „Zufall oder kaltblütige Absicht eines Wahnsinnigen?“

Unterdessen bemüht man sich im „Georg Kriedte Haus“, wieder Normalität einkehren zu lassen. Gespräche der Presse mit den Bewohnern und Pflegern läßt der Sozialstadtrat darum nicht zu. Einige Senioren hätten den Doppelmord aufgrund ihres schlechten Gedächtnisses schon wieder vergessen, so Schmidt. Andere sprächen noch viel von den beiden: „Die waren doch so gut.“ „Alle sind traurig, aber sie sind an den Umgang mit dem plötzlichen Tod ihrer Nachbarn gewöhnt“, weiß Heimleiter Kirschbaum. Auf den expliziten Wunsch der Bewohner hin habe er darum auch davon abgesehen, den Kartenspiel- und Gesangsabend abzusagen.

Schlechter geht es laut Schmidt dem Personal. „Alle haben große Angst, Nachtdienst zu machen.“ Und das, obwohl die Pfleger seit der Tat immer zwischen 22 und 6 Uhr morgens von zwei Wachleuten auf der Station begleitet würden. Auf Dauer sei diese Maßnahme aber nicht zu bezahlen, zumal bereits ein weiteres Heim Wachschutz angefordert habe. „Die Hysterie dort ist völlig aus der Luft gegriffen“, sagte Schmidt. Auch bei der Kripo laufen die Telefone heiß, weil auch in anderen Krankenhäusern und Altenheimen Panik um sich greift. Dabei sind die Chancen, daß sich diese Tat wiederholt, „so groß wie ein Lottohauptgewinn“, versucht Kripochef Zehnpfenning die Wogen zu glätten. Sozialstadtrat Schmidt glaubt jedoch, daß „erst wieder Ruhe einkehrt, wenn die Täter gefaßt sind“. Plutonia Plarre

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