: Unverblümt
■ Ron Vawter starb an den Folgen seiner Aids-Erkrankung
Ein letztes Erinnerungsfoto und das Ableben hatte sich erledigt. Ron Vawter, aidserkranktes Mitglied der legendären New Yorker „Wooster Group“, entkleidete sich in seiner letzten Rolle, als Philoketet im Brüsseler Kaaitheater, und bot nackt seinen mit Aidsmalen übersäten Körper dar. Alle konnten sehen, was ein kleiner Filmausschnitt des „Wooster Group“-Filmemachers Leslie Thornton noch einmal in Nahaufnahme zeigte: die Körpermale der tödlichen Immunschwäche.
Ron Vawter, zuletzt im Kino in John Demmes Aidsfilm „Philadelphia“ zu sehen, stieg unbekümmert nackt, spiellustig, nur ein bißchen wackelig auf den Beinen, in einen schneeweißen Schneewittchensarg — für ein Bild der Erinnerung an die Opfer der tödlichen Immunschwächekrankheit. Doch als das Stück im März am Berliner Hebbel-Theater gastieren sollte, konnte Vawter die Rolle aufgrund seiner Krankheit bereits nicht mehr spielen.
Was vor wenigen Wochen noch Theater war, ist am 16. April Wirklichkeit geworden: Ron Vawter starb auf seiner Heimreise von Europa in die Vereinigten Staaten an Aids. Vawter, der gleichermaßen berühmt war als Filmschauspieler (unter anderem in „Internal Affairs“ und „Das Schweigen der Lämmer“) und bekannt wurde als enges Mitglied des ältesten freien Thaters in den USA, der legendär gewordenen „Wooster Group“, hat aus seiner todbringenden Krankheit nie einen Hehl gemacht. In seinem Solotheater „Roy Cohn/ Jack Smith“ im Mai 1993 prangerte er die Homosexuellenverfolgung der McCarthy-Ära auch durch Homosexuelle an, die sich ihrer eigenen Sexualität schämten. Auf der Bühne zeigte er mit unverblümter Offenheit seine Krankheit, für die er auf der Bühne stets eine Sprache des Realen suchte. Durch die Anwesenheit seiner Krankheit erzeugte er nie Mitleid, sondern ein ungewöhnliches, dem Theater ebenbürtiges Kraftfeld durch die reale Anwesenheit von Aids. Vawter verhandelte die Krankheit mit Lust. Ein „Zeige deine Wunde“ ohne Zeigestock. Ein beflecktes Sterben, das ihn auf der Heimreise in die Staaten erlöst hat.
Arnd Wesemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen