: Glaubwürdigkeit der UNO am Tiefpunkt angelangt
■ Wie immer die Karlsruher Richter entscheiden werden, unklar bleibt, erst recht nach dem Desaster von Goražde, in welchen Situationen Blauhelme sich künftig finden
So verworren wie die innenpolitische Auseinandersetzung um internationale Einsätze der Bundeswehr ist inzwischen auch die Diskussion um militärische Missionen von UNO-Truppen. Auftrag, Kommando, Finanzierung und personelle Ausstattung dieser Truppen sind in immer mehr Fällen unklar und nicht mehr gesichert. Das Dilemma, das bereits im Fall Somalia deutlich wurde, hat sich mit dem seit langem absehbaren Desaster der Unprofor-Truppen im bosnischen Goražde weiter zugespitzt. Es wird zunehmend unklarer, in welche Situation Bundeswehrsoldaten künftig kommen werden, sollten die Karlsruher Richter für eine Änderung der bisherigen Grundgesetz-Restriktionen entscheiden.
Auf dem Balkan, wo die UNO jetzt die größte Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte erlebt, führte sie 1947 mit der Entsendung uniformierter Beobachter auch ihre erste militärische Mission durch. Ähnliche „Observer Groups“ wurden noch im selben Jahr in Indonesien, 1948 im Nahen Osten und ab 1949 (bis heute) an der Grenze zwischen Indien und Pakistan stationiert. Geburtsstunde „friedenbewahrender“ Operationen (peace-keeping) war die Aufstellung der United Nations Emergency Force (Unef) während der Suez-Krise 1956.
Als observer mission oder unter dem Titel peace-keeping wurden bis Ende 1991 fünfzehn UNO- Operationen durchgeführt; weitere elf, von denen sechs zwischen 1988 und 1990 und fünf allein 1991 begonnen wurden, dauern derzeit noch an. Dennoch ist der Begriff peace-keeping bis heute weder in der UNO-Charta niedergelegt, noch wurde er vom Sicherheitsrat oder der Generalversammlung offiziell definiert. Sozusagen als Gewohnheitsvölkerrecht gelten inzwischen folgende Voraussetzungen für peace-keeping-Operationen: ein Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien sowie deren Zustimmung zur Entsendung von UNO-Truppen, ihrem Mandat und ihren Stationierungsorten; die UNO-Soldaten dürfen Waffen nur zur Selbstverteidigung einsetzen. Nach diesem Muster liefen und laufen bis heute die allermeisten Militäreinsätze der UNO weitgehend unproblematisch. Bekanntestes Beispiel ist Zypern, wo UNO- Soldaten seit 1974 die „grüne“ Waffenstillstandslinie zwischen der griechisch-zypriotischen Armee und den türkischen Invasionstruppen überwachen. Andere Orte, an denen UNO-Soldaten ihren Dienst zum Teil seit Jahrzehnten verrichten, sind neben Kaschmir der Libanon, die Golanhöhen oder die irakisch-kuwaitische Grenze.
Sechsundzwanzig von insgesamt dreißig militärischen Operationen der UNO seit 1947 waren oder sind observer- oder peace- keeping-Missionen. Derartigen Missionen wird in der UNO auch künftig große Bedeutung zugemessen. Nur in vier Fällen (Korea 1956; Kambodscha 92, Ex-Jugoslawien ab 92, Somalia 93/94) erteilte der Sicherheitsrat den UNO-Soldaten das Mandat zu Zwangsmaßnahmen (peace-enforcing) oder wie im Fall Korea gar einen eindeutigen Kampfauftrag. Diese Tatsachen stehen der Behauptung der CDU entgegen, die Grenzen zwischen verschiedenen Formen der Einsätze von UNO-Soldaten würden immer fließender, weshalb ein veränderter Grundgesetzartikel die Teilnahme von Bundeswehrsoldaten nicht auf bestimmte Einsätze beschränken dürfe. Erleichtert wird diese Argumentation der CDU, weil die Wahrnehmung militärischer Einsätze der UNO und ihre öffentliche Diskussion seit Frühjahr 1992 fast ausschließlich durch die Vorgänge in Ex-Jugoslawien, Somalia und Kambodscha (Operation inzwischen abgeschlossen) bestimmt wird. In allen drei Fällen ging bzw. geht das Mandat der UNO-Truppen über reines peace-keeping hinaus. Doch wurde auch die Zustimmung der jeweiligen Konfliktparteien zur Entsendung der UNO- Soldaten eingeholt.
Die anfängliche Zustimmung ist in Somalia schon bald nach Beginn des Einsatzes und seit einigen Wochen auch in Bosnien in offene Gegnerschaft zumindest einer Konfliktpartei umgeschlagen. In Bosnien und Somalia wurde kein Waffenstillstand zur Voraussetzung des UNO-Einsatzes gemacht. In beiden Fällen ist Hauptaufgabe der UNO-Soldaten nicht die Überwachung definierter Linien zwischen den Konfliktparteien, sondern die potentiell sehr viel eskalationsträchtigere Begleitung und Durchsetzung von Hilfstransporten durch umkämpftes Gelände bzw. der Schutz der vom Sicherheitsrat definierten „Schutzzonen“. Aufgrund von Differenzen innerhalb des Sicherheitsrates bzw. zwischen Rat und UNO-Generalsekretär Butros Ghali gab es für den Somalia-Einsatz von Anfang an kein klares Mandat – insbesondere hinsichtlich der Entwaffnung einer oder mehrerer Kriegsparteien sowie der Verfolgung ihres/r Führer.
Das Mandat für die Unprofor in Bosnien und Kroatien wurde im Verlauf der letzten zwei Jahre Stück für Stück erweitert – besonders hinsichtlich des Waffengebrauchs der Unprofor-Soldaten und des Rechts ihrer Oberkommandierenden, bei Ghali Luftwaffenunterstützung durch die Nato anzufordern. Das jeweils vom Sicherheitsrat vorgegebene Mandat läßt immer noch große Spielräume für die tägliche Umsetzung vor Ort. Spielräume, die von den verschiedenen Unprofor-Generälen in Absprache mit ihren nationalen Regierungen jeweils sehr unterschiedlich genutzt wurden.
Bereits in seiner „Agenda für den Frieden“ vom Mai 92 forderte Ghali die verbindliche Neudefinition sämtlicher Formen militärischer UNO-Einsätze durch die Generalversammlung und die Aufstellung einer ihm unterstellten ständigen UNO-Truppe, die schnell und unabhängig von nationalen Interessen und nationalen Kommandostrukturen einsetzbar ist. Damals lehnten die USA, Großbritannien und Frankreich diesen Vorschlag im Sicherheitsrat ab. Andreas Zumach, Genf
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