: Über den Wolken
■ Neu im Kino: „Der Olympische Sommer“, ein grandioser Film, betreffend 1936, ausgezeichnet mit dem Bundesfilmpreis
Wie sehr wir uns an die Konventionen des Mainstreamkinos gewöhnt haben, wird erst dann richtig deutlich, wenn ein Filmemacher sich traut, es ganz anders zu versuchen. Der junge deutsche Regisseur Gordian Maugg hat einen Film gemacht, der ganz anders aussieht, klingt und wirkt.
In „Der Olympische Sommer“ gibt es keine Dialoge, gedreht wurde in Schwarzweiß mit einer Kamera wie aus den dreißiger Jahren; oft in „falscher“ Geschwindigkeit oder in eingefrorenden Bildern, die durch historisches Film- und Fotomaterial ergänzt werden. Auf der Tonspur hört man Musik, Geräusche, Gesprächsfetzen und Tondokumente wie Radiosendungen – dazu erzählt Otto Sander die Geschichte in einem respektvoll distanzierten, sehr literarischen Stil.
Mit diesen Techniken der Verfremdung, die immer auf die eigene Künstlichkeit hinweisen, gelingt es Maugg verblüffend gut, das Lebensgefühl und die Stimmungen eines 16jährigen Fleischergesellen zu vermitteln, der 1936 aus seinem Heimatdorf in die Reichshauptstadt Berlin radelt, um sich dort die olympischen Spiele anzusehen. Für ihn ist dieser Sommer ein großes sinnliches Fest, eine kurze Zeit in Freiheit, Liebe und bescheidenem Luxus – an die er sich für den Rest seines Lebens wehmütig erinnern wird.
Seine apolitische, ganz persönliche Geschichte läßt sich nicht auf ein beispielhaftes Schicksal dieser Zeit reduzieren – die faschistische Inszenierung der Olympiade zeigt sich nur in den Wochenschaubildern von Massenveranstaltungen und bei den Hakenkreuzwimpeln an den Strandkörben am Wannsee. Durch den Kontrast zwischen diesen beiden Ebenen, zwischen Emotion und Dokumentation, gibt der Film einen neuen, frischen Blick auf diese Epoche frei.
Aber es gelingt dem Gesellen nur diesen einem Sommer lang, über der Geschichte zu schweben. Sein weiteres Schicksal ist voller unglücklicher Zufälle, die ihn immer mehr zum Opfer des Systems und des Krieges machen. Auch diesen Schluß zeigt Maugg mit der gleichen distanzierten Leichtigkeit – jede melodramatische Untiefe wird mit meisterhafter Erzählkunst umschifft, und deshalb trifft der Film mit der gleiche Kraft ins Hirn und ins Herz.
„Der olympische Sommer“ ist nicht nur Film, sondern auch Kino – also kein Experimentalfilm, sondern ein grandios gelungenes Filmexperiment. Die Verleihung des Bundesfilmpreises war nach Auszeichnungen auf Festivals in Tokio und Kiew schon fast eine Selbstverständlichkeit.
Wilfried Hippen
Kino 46, heute bis So. 18.30 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen