: „Der Mauerbau wird im nachhinein sanktioniert“
■ Das Bündnis 90/Die Grünen fordert die Rückgabe der Mauergrundstücke
Das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das am 29. April 1994 vom Bundesrat verabschiedet wird, sieht keine Rückgabe der Mauergrundstücke vor. Alle Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses, außer der PDS, fordern jedoch, das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ auch auf diese Grundstücke auszudehnen.
Die taz sprach darüber mit dem amtierenden Vorsitzenden des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, Michael Cramer (Bündnis 90/Die Grünen), der zur Zeit bei den übrigen Bundesländern um Unterstützung für die Berliner Position wirbt.
taz: Ihre Partei hat sich immer gegen das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ ausgesprochen. Jetzt fordern Sie plötzlich die Rückgabe der Mauergrundstücke.
Michael Cramer: Dieses Prinzip ist im Einigungsvertrag verankert, den Bündnis 90 in der Volkskammer und die Grünen im Bundestag seinerzeit abgelehnt haben. Es ist umstritten, unumstritten sollte es aber bei den Mauergrundstücken sein. Denn sowohl nach DDR-Gesetz – Grundstücke, die nicht mehr für Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, sind an die Rechtsträger, Eigentümer oder sonstige Nutzer zu übergeben – wie nach bundesrepublikanischem Recht – Rückenteignung – müssen Enteignungen dann wieder rückgängig gemacht werden, wenn der Zweck der Enteignung entfällt. Niemand wird bestreiten, daß dieser nunmehr entfällt.
Ist der Zweck von Enteignungen nicht auch bei Grundstücken außerhalb des Mauerstreifens hinfällig geworden?
1990 hätte sich keiner träumen lassen, daß diejenigen, die im Zuge des Mauerbaus enteignet wurden, ihre Grundstücke nicht zurückbekämen, daß der Staat sie behält und damit im nachhinein den Mauerbau sanktioniert.
Außerdem wurde der Mauerbau aufgrund des Verteidigungsgesetzes der DDR vollzogen. Berlin hatte aber nach dem Potsdamer Abkommen einen entmilitarisierten Status, der in Berlin (Ost) verletzt wurde. Soll dieser Bruch des Völkerrechts im nachhinein legalisiert werden?
Ist das so zu verstehen, daß sich Ihre Auffassung zum Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ geändert hat?
Nein. Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung ist deshalb problematisch, weil die enteigneten Grundstücke weiterverkauft wurden und jetzt zwei „rechtmäßige“ Eigentümer existieren. Bei den Mauergrundstücken gibt es diesen Konflikt überhaupt nicht. Da hat sich kein anderer ein Haus gebaut. Diese gehören der BRD als Rechtsnachfolgerin der DDR, und es ist doch ein politisch-moralischer und Justizskandal, daß sich der „Kanzler der Einheit“ durch den Mauerbau bereichern will. Interview: Ralph Bollmann
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