: Farbnuance Fensterkitt
■ Ist das noch Mode? / Alles für Twens, nix für die Frau ab 30, meutert Kaija Kutter
Können Sie sich vorstellen, bei diesem garstigen Aprilwetter mit freiem Bauchnabel herumzulaufen? Die Designer und Einkäufer für einschlägige Klamottenläden schon. Kurze Blüschen, kurze Jacken, kurze T-Shirts, die grad über den Busen reichen, hängen en masse an den Kleiderständern in der City. Die Seventies lassen immer noch grüßen. Plateau-Turnschuhe, Schlaghosen, Hemden mit Trompetenärmeln, am besten aus Tüll, damit es durchzieht. Und Westen, Westen, Westen - gehäkelt, gestrickt, in Jeans, im FDJ-Look, eng-tailliert oder Hippie-weit.
Es ist ein Trauerspiel. Die aktuelle Mode bietet alles für Abiturientinnen und nichts für die gestreßte berufstätige Frau um die 30, die einfach nur warm und sicher und ein bißchen schick angezogen werden will. Dabei ist sie selbst schuld. Warum landen denn die schlichten Baumwollklamotten vergangener Einkaufszüge waschkörbeweise im Altkleidercontainer? Warum heißt es denn an jedem dritten freien Tag: So, jetzt werde ich mal losgehen und mir einfach was Solides zum Anziehen kaufen? Weil wir verinnerlicht haben, daß es stets neue Mode gibt. Weil wir nach dem Abdanken der Alternativkultur der 70er mit Begeisterung unsere selbstgefärbten lila Latzhosen gegen Stöckelschuhe und Miniröcke eingetauscht haben und seither kritiklos am Tropf der Modeproduzenten hängen. Und weil die Qualität unserer Kleidung einen mehrjährigen Gebrauch nicht zuläßt.
Der nachmittägliche Zug durch die Klamottenladen-Gemeinde läßt aber neuerdings immer häufiger Schweißperlen auf der Stirn und Ratlosigkeit zurück. Ohne den zufälligen Blick beim Arzt in die ein oder andere Frauenzeitschrift wäre Kundin ohnehin vollends orientierungslos. Wie bitte sehr ist die Mode gemeint, die bei Hennes & Mauritz oder bei Jean Pascal am Ständer hängt? Eigentlich müßte es Führungen geben oder Gebrauchsanweisungen: „So stelle ich mir meine Frühjahrsgarderobe zusammen“.
Statt dessen wird die Betrachterin nach mehreren Rundgängen durch die in allen Stadtteilen leider immer wieder gleichen Ladenketten mit der schnöden Erkenntnis konfrontiert, daß es in diesem Sommer leider nichts tragbares Neues mehr gibt - außer Fensterkittfarbe. Ein Ton, der mit Chance auch als sandfarben durchgehen könnte, im Grunde aber wie gebleichte Jutetasche aussieht. So, als wäre den Kleiderproduzenten im Zuge der Rezession die Farbe ausgegangen. Okay, wir gewöhnen uns daran. Jackets in Fensterkittfarbe, ärmellose Westen, Blusen, Bauwollpullover und Hemden. Immerhin, die Fensterkittkollektion hält den Bauchnabel überwiegend bedeckt. Und wenn auch Beige eigentlich noch nie zu einem blassen Teint paßte, so beschließen wir jetzt einfach, daß es paßt. Immerhin wurden wir ja im vergangenen Jahr mit Elfenbeinweiß und Eierschalenbeige auf diese Farbe hingetrimmt, und besser als das 92er Schnupfengrün oder Senffarbengelb ist es allemal.
Verblüffend auch die Verarbeitung der Materialien. Das Gewebe einst elegant geschnittener Jackets wird immer gröber, die Säume werden kaum noch umgenäht, die Nähte gar nach außen gekehrt, so als wollten die Modemacher sagen: „Näht euch den Scheiß doch einfach selber.“
„Ich glaube, die wollen jetzt nur die Lager leermachen und halten die wirkliche neue Mode zurück“, sagt meine Freundin M., ebenfalls vom Modefrühling 94 enttäuscht. Es müsse etwas vollkommen Neues kommen, diese „ewige Zitiererei vergangener Jahrzehnte“ ginge ja schließlich so nicht mehr weiter. Doch nach einer Hommage an die 50er, die 60er, die 70er Jahre droht uns jetzt ein Comeback des Punk. Der Fantasielosigkeit sind keine Grenzen gesetzt, der Anspruch, die eigene Jugendmode als etwas Einmaliges in Erinnerung behalten zu wollen, ist nicht gesetzlich geschützt. Also aussteigen aus dem Modekarussell und tatsächlich den Nerv besitzen, sich bei Woolworth einzukleiden, wie es die Modezeitschrift Cosmopolitan trendbewußten Käuferinnen empfiehlt?
Vielleicht müßte die Kleiderproduktion ganz anders organisiert werden, so wie bei der Zusammenstellung einer Pizza: „Ich hätte gerne Grundmodell Hose blau mit Knopf X und grünen Reißverschlüssen.“ Fleißige Näher mit Baseballkappen flickten die „Zutaten“ dann flugs nach individuellen Wünschen zusammen. Allerdings: Wenn's dann nicht gut aussieht, auf wen kann frau dann schimpfen?
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