piwik no script img

Männliche Denkblockaden

■ betr.: „An alle fressenden Kühe!“, taz vom 2.4.94

Mit Verwunderung und Bestürzung mußte ich feststellen, wie sehr sich unterschwelliger Nationalismus auch schon in der taz verbreitet hat. So bedauert der Rezensent E.-P. Fischer: „Wer unter den Herausgebern der ,Gesammelten Schriften‘ einen deutschen Namen sucht, muß schon bis zum Kleingedruckten vordringen.“ Und bemerkt, „daß es zwar schon viele Biographien über Einstein gibt, daß aber die meisten von Amerikanern geschrieben worden sind.“ (Davon liegen selbstverständlich viele in deutscher Übersetzung vor.)

Desweiteren findet Fischer es einen Skandal „der deutschen Wissenschaftsgeschichte, daß sie keine Biographie Einsteins geliefert habe“, läßt aber die Fragen offen, was das spezifisch Deutsche an einer Einsteinbiographie sein soll? Warum müssen ausgerechnet Deutsche über Einstein schreiben, der die größte Zeit seines Lebens Schweitzer Bürger war und sich 1933 entsetzt vom nationalsozialistischen Deutschland ein für allemal abgewandt und seinem Geburtsland nie verziehen hat?

Um nicht falsch verstanden zu werden, muß ich hier anmerken, daß sich meine Kritik im wesentlichen gegen die Rezension und nicht gegen Fölsings Buch richtet.

Dieses ist ein imposantes Werk, das viele bisher verstreute und unzugängliche Informationen in einem umfangreichen Band zusammenfaßt. Die Stärken des Buches liegen allerdings genau dort, wo Fischer es kritisiert. Fölsing hat den Menschen Albert Einstein und nicht die „Hauptsachen“ die „Qantenmechanik der Atome“, wie Fischer meint, in den Vordergrund gestellt. Das macht Fölsings Buch lesenswert. Zur Philosophie und Geschichte der Quantenmechanik gibt es gute wie schlechte Bücher wie Sand am Meer – für jedes Spezialinteresse eins.

Zu kritisieren sind allerdings mindestens die männlichen Denkblockaden, die sich hier wiederfinden.

So ist für die beiden (Fischer und Fölsing) offenbar undenkbar, daß Albert Einstein eine Frau hatte, die ebenfalls in Mathematik und Physik ausgebildet war, und mit ihm zusammen gearbeitet haben könne.

Nach Fischer „klärt (Fölsing) zum Beispiel überzeugend die Frage, ob Mileva, seine erste Frau, nun mit zur Aufstellung der Relativitätstheorie beigetragen hat oder nicht. Die Antwort heißt „Nein“, obwohl vielfach das Gegenteil behauptet wurde,...“. Schaut man in Fölsings Buch nach, findet sich an der entsprechenden Stelle (S.835 Anm. 31) lediglich ein Hinweis auf einen sehr polemischen Artikel Fölsings in Die Zeit (Nr. 47, 16.11.90, S. 94). Dieser ist noch dazu schlecht recherchiert und zum Teil sachlich falsch.

Eine umfassende Darstellung der Diskussion um die Rolle Mileva Einstein-Marics bei der Aufstellung der allgemeinen Relativitätstheorie findet sich zum Beispiel in „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ von Margarete Maurer und Petra Seibert in Wechselwirkung Nr. 52, April 1992, S. 50-52 und Nr. 55, Juni 1992, S. 51-53. Die beiden Frauen bemerken auch, daß Fölsing (und mit ihm Fischer) einen frauenfeindlichen Schreibstil benutzt, indem er Albert Einstein im Verlaufe seines Artikel immer „Einstein“, Mileva Maric aber „Mileva“ nennt.

Die Frage nach der Rolle Mileva Marics bei der Entwicklung der Relativitätstheorie ist keineswegs geklärt, beide Seiten können für ihre Deutung Argumente vorbringen, die Quellenlage läßt aber keine definitive Interpretation zu.

Welche Position man in diesem Streit einnimmt scheint unter anderem dadurch bestimmt zu sein, ob man dem Einstein-Mythos verfallen ist oder nicht. Nach diesem Mythos ist Einstein der Einzelgänger, das Genie, das sich seine Theorie im stillen Kämmerlein ausdenkt und sie dann der Welt präsentiert. Fölsing zeichnet mit Sicherheit ein in weiten Teilen sehr viel differenzierteres Bild Einsteins. In der Frage nach Mileva Maric geht er aber über den Einstein-Mythos bedauerlicherweise nicht hinaus.

Insgesamt erweckt weniger das Buch Fölsings selbst als der Rezensent den Eindruck, Wissenschaftsgeschichtsschreibung sei dazu da, um „mehr Respekt – vor dem Autor, der Wissenschaft und einem ihrer besonderen Helden“ zu erzeugen. Ich möchte meinen Respekt vor dem Autor Fölsing nicht verhehlen, daß Wissenschaftsgeschichtsschreibung aber dazu dienen könnte, die Komplexität der wissenschaftlichen Entwicklung deutlich zu machen und zu zeigen, daß Wissenschaft ein durchaus menschliches Unterfangen ist, bei dem soziale, wirtschaftliche, politische und andere Komponenten eine wichtige Rolle spielen, wäre Fischer nicht in den Sinn gekommen.

Eine solche Wissenschaftsgeschichte würde dann nicht Ehrfurcht und Respekt vor den Ergebnissen der Wissenschaften erzeugen, sondern die Beeinflußbarkeit der wissenschaftlichen Entwicklung aufzeigen. Ein aufgeklärt-kritischer und demokratischer Umgang mit Wissenschaft und ihren Produkten statt der weitverbreiteten Wissenschaftsgläubigkeit oder der vereinzelten Technikfeindlichkeit wäre ein mögliches Ergebnis. Kai Handel, Seevetal

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen