„Netter junger Mann“ Mandela

Der Chef des African National Congress auf Wahlkampftour / Wo Worte und Argumente nicht helfen, versucht es der 76jährige mit Charme  ■ Aus Durban Willi Germund

Die riesige Plakatwand auf dem Hügel verspricht in den grün-gold- schwarzen Farben des „African National Congress“ Jobs. „Arbeitslos – bitte helfen sie uns, Herr Mandela“ hat ein Bewohner des Schwarzenviertels Lamont der südafrikanischen Hafenstadt Durban auf die Rückseite des Wahlplakats mit einem Foto des Spitzenkandidaten der Anti-Apartheid-Allianz gemalt. „Madiba“, wie Verehrer den großen alten Mann Südafrikas respektvoll anreden, hockt auf dem Schiebedach seiner gepanzerten Limousine und hält ein Megaphon in der Hand.

Mandelas Rede geht im Jubel unter. Die Besucher seiner Wahlkampfveranstaltung wollen den Superstar der südafrikanischen Politik sehen und bewundern, den Heilsbringer, der eine bessere Zukunft personalisiert. Hoffnungen, die für Mandela zur Last werden können und die er in seinen Ansprachen zu dämpfen sucht. Auf keinem anderen zeitgenössischen Politiker dürften so viele Hoffnungen aufbauen. Gesten sind viel wichtiger geworden als Zitate. Als der Mann, der in den Gefängnissen des Apartheidregimes schmachtete, bei einer Fernsehdiskussion dem weißen Präsidenten de Klerk die Hand reichte, sorgte das für einen Stimmungsumschwung im Land. Am folgenden Tag meldeten sich Hunderte Weiße per Telefon bei einem lokalen Rundfunksender: Die Geste, so der Tenor, habe ihnen neues Vertrauen für die Zukunft gegeben.

Bis an den Rand der Erschöpfung trieb der 76jährige Mandela sich während des Wahlkampfes – zum Kummer seiner Ärzte. Seine engen Mitarbeiter klagen, daß er kleine Malaisen so lange nicht zur Kenntnis nimmt, bis sie zu ernsthaften Beschwerden werden. Dann freilich müssen die besten Spezialisten her. Auf die Frage, warum er nicht verbittert aus 27jähriger politischer Haft gekommen sei, erwiderte Mandela einmal: „Trotz allem, was einem im Gefängnis angetan wird, hat man die Gelegenheit nachzudenken.“ „So schlimm ist es doch nicht, hat Madiba mir gesagt, als ich, zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, bei ihm auf Robben Island landete“, erinnert sich ein Zellennachbar des ANC-Führers heute. Mandela, Sohn eines Königs in der heutigen Transkei, ein gelernter Rechtsanwalt, der seinen Abschluß im Gefängnis machte und der in jungen Jahren ein begeisterter Boxer war, wurde in diesen Jahren von einer Vision getragen. Er kämpfte für das Ende der Apartheid, wollte das Stimmrecht für die Schwarzen und Gleichberechtigung. Gut vier Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ist dieses Ziel einer anderen Hoffnung gewichen „Ich werde so lange Präsident bleiben, bis ich Südafrika in geordnete und friedliche Bahnen gelenkt habe“, erklärt er. Seine Bemühungen, alle politischen Gruppierungen in den Demokratieprozeß einzugliedern, grenzten denn auch an Besessenheit. Mitarbeiter mußten stundenlang mit Mandela diskutieren, bevor er ein Treffen mit dem Faschistenführer Eugene Terre Blanche abblies.

„Hier habe ich meine erste Liebe getroffen“

Ohne Mandela stünde Südafrika in den Tagen vor der Wahl möglicherweise am Rande eines Bürgerkriegs. Im vergangenen Jahr rettete er nach der Ermordung von Kommunistenchef Chris Hani durch Rechtsradikale das Land vor dem Chaos, als er die zornigen ANC-Anhänger besänftigte. Kurz vor dem historischen Urnengang am kommenden Dienstag ließ er sich auf einen Kompromiß mit seinem Widersacher Mangosuthu Buthelezi, dem Chef der konservativen Schwarzenbewegung Inkatha, ein. Doch seine an Predigten grenzenden Reden, in denen er den ANC als Bewegung aller SüdafrikanerInnen anpreist, fruchteten wenig. Die Anti-Aparteid-Organisation wird von der Mehrheit der Minderheiten am Kap als „afrikanische Gruppierung“ betrachtet, als Partei, die vor allem die Interessen der 30 Millionen Schwarzen im Auge hat.

Mandela setzt auf seinen Charme, wo politische Argumente nicht genügen. „Hier habe ich meine erste Liebe getroffen“, schwelgte er bei einem Besuch in der Transkei in alten Erinnerungen. „Wie kann man einen solchen Mann nicht wählen“, pflegt in solchen Augenblicken die südafrikanische Journalistin Susan Thomas zu schwärmen. „Machen Sie Ihr Kreuz neben dem grün-gold- schwarzen Zeichen mit dem Rad und Assegai“, sagt Mandela, „wo das Foto mit dem netten jungen Mann abgebildet ist.“ Er meint sich selbst. Zumindest bei seiner ältesten Tochter hilft der Trick nicht. Sie will lieber die kleine Demokratische Partei wählen.