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Wo das Ozonloch am nächsten ist ...

■ Greenpeace propagiert den Öko-Kühlschrank auch in Lateinamerika

Berlin (taz) – Ein Wirtschaftskrimi wird fortgesetzt. Nur wenige Monate nachdem sich die deutsche Elektroindustrie unter schwerem öffentlichem Druck bereit erklärt hatte, Kühlschränke künftig ohne den Ozonkiller FCKW und ohne das Klimagas FKW zu bauen, geht der Kampf in die nächste Runde. Schauplatz sind nun Peking und Neu-Delhi, Mexico City, São Paulo und Buenos Aires. Auf der einen Seite lokale Umweltschützer und der Öko-Multi Greenpeace: Sie propagieren auf den Wachstumsmärkten Asiens und Lateinamerikas Kühlschränke nach dem „Greenfreeze“-Prinzip, also mit einfachen Kohlenwasserstoffen wie Propan und Butan in der Isolierung und im Kühlkreislauf. Auf der anderen Seite die Chemiemultis Hoechst, ICI, Atoche und Dupont, unterstützt von den Elektroriesen Sanyo und Whirlpool. Sie sehen ein Milliardengeschäft mit der Chemikalie Flourkohlenwasserstoff 134a bedroht.

Als sich 1987 die Industriestaaten im Protokoll von Montral verpflichteten, die FCKW-Produktion zu stoppen, um die Ozonschicht zu retten, galt FKW 134a als die Alternative für Haushaltsgeräte. Da es kein Chlor enthält, nage es nicht am Ozon und die früheren FCKW-Hersteller brauchten mit dem teuren Ersatzstoff keine Sorge um ihre Bilanzen zu haben. Daß 134a pro Mengeneinheit rund 3.000 mal mehr zur Erwärmung der Erdatmosphäre beiträgt als Kohlendioxid, beklagten allenfalls ein paar ewige Nörgler wie Greenpeace und der Entdecker des Ozonlochs, der Brite Joe Farmann. Der Forscher warnte, man werde den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Einem Tüftler und vielen glücklichen Zufällen ist es zu verdanken, daß es zumindest in Europa anders kam: Der Leiter des Dortmunder Hygieneinstituts, Harry Rosin, erinnert sich an seine Chemiestunden. Kühlen, so hatte er gelernt, ist auch mit unschädlichen Kohlenwasserstoffen wie Propan und Butan möglich. Rosin und seinen Mitarbeitern gelang der Nachweis, daß dies auch in Haushaltsgeräten ohne Brandgefahr funktioniert. Greenpeace stellte den Kontakt mit dem sächsischen Hersteller DKK Scharfenstein her. Dem drohte gerade die Abwicklung durch die Treuhand, und er sah seine Überlebenschance.

Innerhalb weniger Wochen war der „Greenfreeze“ geboren: Der Ökokühlschrank, der den Markt in Europa umkrempelte. Anfangs bekämpfte ein Kartell aus Siemens, AEG, Liebherr und Elektrolux diese Alternative mit allen publizistischen Mitteln. Schließlich hatten sie bereits Millionen in die langfristige Umrüstung auf 134a investiert. Propan im Wärmetauscher bedeute ein Zeitbombe in der Wohnung, so einer der später vom TÜV entkräfteten Vorwürfe. Greenpeace hielt dagegen und verstärkte seine Kampagne gegen die „chlorreichen Sieben“.

Doch erst als sich der wirtschaftliche Erfolg des Pioniers Scharfenstein, heute Foron, abzeichnete, wechselten auch die Großen ganz kühl die Pferde. Ende des Jahres werden rund 80 Prozent der Neugeräte in Deutschland nach dem „Greenfreeze“-Prinzip betrieben. Bosch-Siemens kündigte gar eine komplette Umstellung an.

Woanders steht die Entscheidung noch aus. Japan und die USA halten vorerst am Ozonkiller fest und wollen dann auf 134a umsteigen. In China erreichte eine Greenpeace-Tour im letzten Jahr einen ersten Erfolg. Dort wird mit deutscher Finanzhilfe immerhin eine von fünf neuen Fabriken umweltverträgliche Kühlschränke herstellen. Auch mit indischen Produzenten gibt es Verhandlungen, wobei die Öko-Aktivisten die Rolle einer kostenlosen Technologietransferstelle übernehmen. Doch in Mexiko und Brasilien handelten sie sich eine Abfuhr ein. Zu eng sind dort die Bindungen an die US-Industrie.

Argentinien mit seinen eher mittelständischen Firmen soll nun den Durchbruch bringen. Gelingt es hier, ähnlich wie in Deutschland, einen Pionier zu finden, könnte über den schnell wachsenden lateinamerikanischen Binnenmarkt eine vergleichbare Wende bewirkt werden, die dann auch die Nafta- Staaten Nordamerikas erreicht. Zwar verbreitet die Chemieindustrie auch in Südamerika das Gerücht, Öko-Kühlschränke könnten explodieren, doch Greenpeace verweist auf deutsche Erfahrungen und stellt geschickt die ökonomischen Vorteile der eher profanen Propan-Technik heraus: Die Gase sind überall verfügbar und nicht patentfähig. Anders als für 134a sind also keine Lizenzgebühren fällig.

Da das Ozonloch zumindest in Patagonien „hautnah“ spürbar ist, entwickelt sich im Südzipfel des Kontinents das Umweltbewußtsein schneller als anderswo, und tatsächlich scheint der alternative Technologietransfer erfolgreich zu sein: Zwei Produzenten, unter ihnen die heimische Tochter des deutschen Herstellers Liebherr, erklärten bereits ihr Interesse an einer Umstellung. Sie wollen in Kürze eine Finanzierung des FCKW-Ausstiegs über die Weltbank beantragen. Dies wiederum wäre ein Signal, das auch in anderen Entwicklungsländern gehört würde.

Nach Einschätzung des Leiters der südamerikanischen Greenpeace-Kampagne, Roberto Kishimanie, bekäme das Umweltthema damit gar eine Art antikolonialistische Dimension: „Bisher dienen die multilateralen Konversionsfonds ausschließlich der Umstellung auf 134a. Letztlich finanzieren die reichen Länder also neue Märkte für Hoechst, ICI und Dupont. Mit der Greenfreeze-Technik wird das erstmals durchbrochen. Die Länder der ,Dritten Welt‘ haben tatsächlich die Chance, ein Stückchen unabhängiger zu werden.“ Thomas Nachtigall

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