Sanssouci: Vorschlag
■ Sehr schwarzer Humor: „Mutters Courage“ von George Tabori
An einem Sommertag im Jahre 44 zog Frau Elsa Tabori ihr schwarzes Kostüm an und eilte zum Kartenkränzchen. Um halb elf Uhr morgens verließ sie das Haus, wurde unterwegs jedoch festgenommen, im Viehtransporter gen Auschwitz verfrachtet, wo sie auf wunderliche Weise entkam. Um zehn Uhr abends – endlich – erreichte die Dame ihre ungeduldig wartende Rommérunde. Um zwölf Uhr hatte sie bereits zwei Pengö fünfunddreißig gewonnen.
Eine Episode aus George Taboris heldenhafter Familienchronik. Vor fünfzehn Jahren hat Tabori den ursprünglichen Novellenstoff dramatisiert und inszeniert. Jetzt ist „Mutters Courage“ erstmals unter einer Berliner Bühne zu sehen. Im carrousel- Theater hocken die Zuschauer nämlich an den Seiten eines runden gruftartigen Gemäuers unter der Drehbühne, die gelegentlich geräuschvoll rotiert. Der Zug ins Nirgendwo. Mit einem Fahrstuhl, die leblose Mutter geschultert, fährt der wie zum Begräbnis gekleidete Sohn in diesen Keller der Geschichte hinab und belebt die Vergangenheit. Axel Wandtke macht dazu eine ernste Miene und versucht trotzdem charmant zu lachen. Er bemüht sich um Spielwitz, schlüpft in verschiedene Rollen, skizziert vertrottelte Beamte, kalte Offiziere, komische Häftlinge. Er bemüht sich sehr. Die Mutter ist sein Demonstrationsobjekt. Wie aus Porzellan steht Karin Schroth da. Zierlich und zerbrechlich. Im schwarzen Hütchen, mit weißen Spitzenhandschuhen, in den zarten Händchen fest umschlossen ihr Romméblatt. Fertig für die nächste Partie! Nur gelegentlich mischt sie sich in den Bericht des Sohnes ein. Kullert mit ihren großen Augen, klappert mit den Wimpern, spitzt ihren roten Mund. Und seufzt. Oder sie unterbricht, wenn George mal wieder die Schamgrenze überschreitet. Eine Mutter Courage ist das freilich nicht. Keine Heldin, kein Brechtscher Engel der Schlachtfelder.
Aber Courage hat Mutter Tabori trotzdem bewiesen. Sie ist, verfolgt von 4.800 Augenpaaren, über den Hof geschritten und hat den SS-Offizier angelogen. Das Opfer hat den Mut gehabt, dem Täter in die Augen zu blicken. Diese Sekunde der Rebellion, diese Gebärde des Widerstands – oder der geheimen Übereinkunft? – müßte die Inszenierung zeigen. Doch Regisseur Peter Schroth ist leider kein Spieler und Luftikus, nur ein Illustrator und Kämpfer. Er läßt einfach zwei Köpfe sich aneinanderpressen. Backe an Backe. Nicht Seele an Seele. Er enthüllt die Oberfläche. Nichts dahinter. Dirk Nümann
Weitere Vorstellungen: 27. 4., 19 Uhr; 29. und 30. 4., 18 Uhr. Im carrousel-Theater an der Parkaue.
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