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Zum Führergeburtstag Matjes

Heimeliges Irrenhaus: Frank Castorf inszeniert „Pension Schöller: Die Schlacht“  ■ Von Esther Slevogt

Reden über Deutschland, das hieß schon immer donnerndes Pathos oder brüllendes Gelächter. Niemand ist je dem deutschen Wesen näher gekommen als der Nationalist und der Karikaturist. Was dem einen recht und rechts ist, ist dem anderen billig und links. Im tiefsten Innern jedoch sind sie ein siamesisches Zwillingspaar. Und nachdem der 20. April unter kräftiger Mithilfe des englischen Fußballverbandes sang- und klanglos an Berlin vorüberging, folgte der 21. April.

Über der Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz prangt flammend rot ein Transparent, das Schöller: Schlacht verheißt. Frank Castorf inszeniert Heiner Müllers Stück Die Schlacht, unterwandert von der berühmten Berliner Gründerzeitposse Pension Schöller des Autorenduos Carl Laufs und Wilhelm Jacoby.

Als der Provinzler Philipp Klapproth die Pension Schöller in Berlin betritt, sind die Hakenkreuze am nächtlichen Himmel soeben verglüht. Es ist der 20. April des Jahres Neununddreißig. Großdeutschland feiert den 50. Geburtstag seines Führers. Doch als die Farce Pension Schöller im Jahre 1889 das Licht der Welt erblickte, da war vom Führer weit und breit noch keine Spur. Kaiser Wilhelm Zwo regierte eben erst ein Jahr, und Adolf lag noch in den Windeln. Auch Heiner Müllers „Szenen aus Deutschland“ handeln von vielem zwischen Reichtstagsbrand und Kapitulation, nur von Hitlers Geburtstag nicht. Den inszeniert nun exklusiv die Volksbühne Berlin. Es ist der Punkt, an dem beide Stücke hier zu einem einzigen verschmelzen. Dicht beieinander liegen Dichtung und Wahrheit, Wahnsinn und Wirklichkeit. Das lernen wir von Klapproth und Kiessling, der ihm, als er endlich mal den Wahnsinn leben und nicht bloß immer von ihm lesen will, die Pension Schöller als veritables Irrenhaus verkauft. Und so bekommt Berlin den Führergeburtstag nachgeliefert. Ein Höllenspektakel, ganz nach bekannter Art des Hauses. Man feiert halt die Feste, wie sie fallen. Läßt sich den Spaß von nichts und niemandem verderben.

Alles beginnt mit Müller pur und richtig schön von Anfang an. Kurt Naumann in SA-Uniform und Hendrik Arnst als Kellner und Berliner Original – zwei feindliche Brüder, die sich in der Nacht vor dem Reichtstagsbrand nach langem wiedersehen. Störte da nicht eine Kleinigkeit den feierlichen Ton. Das Bruderpaar, das soviel trennt – Nazi der eine, und der andere Kommunist – teilt einen Sprachfehler, der aus einem L ein N macht, so daß Revolver wie Revonver und Blut wie Bnut klingt. Hier schleicht sich leise schon die Farce ins deutsche Trauerspiel. Müllers Heldengesang kriegt erste Risse. Und mündet schließlich, knapp zwei Stunden später, im gestammelten „April, April.“ Aber vorerst ist die Welt des Dramas noch in Ordnung. Doch dann kommt Henry Hübchen als eben jener Philipp Klapproth. Von nun an ist der Teufel los. Und weil der Führer heute Geburtstag hat, will Klapproth zum Bier Matjes mit Kartoffelsalat. Der ergießt sich dann gleich plastikeimerweise über die außer Rand und Band geratene Gesellschaft aus Bürgern, Bohemiens und Militärs. Kartoffelsalat, der Stoff, aus dem heute abend der deutsche Alptraum gerührt ist, in dem sie alle waten, schlittern, straucheln und aus dem es kein Entrinnen gibt. Die andere Deutschland-Allegorie ist eine Tapete mit monströsen Blümchen, die sozusagen von der Maas bis an die Memel reicht und nicht bloß an den Wänden der Pension Schöller klebt. Pension Deutschland, unser heimeliges Irrenhaus, die feste Burg. Hinter den Zinnen, die Bernt Neumanns Szenerie begrenzen, ein Hauch von Abgrund und Ewigkeit. Davor ein Flakgeschütz, auf dem zuweilen blonde Mädchen turnen und in die Menge ballern. Auf weiter Bühne findet sich im Laufe des knapp dreistündigen Spektakels dann so ziemlich alles ein, was unser gutes Deutschland so schrecklich schön, so unvergleichlich macht. Der Nazi, der KZ-Häftling, die Lederhose mit offenem Hosenstall. Der Herrenwitz, das deutsche Lied, der Durchhalteschlager aus dem NS- Wunschkonzert. Kurzum: der ewige Deutsche und sein weibliches Pendant: wahlweise als Walküre oder deutsche Maid im Dirndl, blondbezopft.

Das Publikum ist hochzufrieden. Es lacht, es gackert, und es klatscht sich auf die Schenkel. Und manchmal fragt man sich: wer lacht da über wen? Selbst konservative Kritiker sind hell begeistert, weil Castorf so wunderbar im deutschen Wahnsinn wühlt.

Wie Solitäre überfunkeln da die Schauspieler die vielen pubertären und überstrapazierten Witzeleien. Herbert Fritsch als weitgereister Großwildjäger Fritz Bernhardy und sein Auftritt als Pekingopern- Konkubine, die eine echte Glanznummer ist. Hendrik Arnst als schauspielbesessener Kellner, dessen Sprachfehler wie ein Virus wirkt und alles infiziert, was Deutschen heilig ist. Aus Schiller wird ein Schinner, aus Wallenstein unweigerlich ein Wannenstein: Und Henry Hübchen schließlich, der rasende Komiker, der vieles frei nach der Devise rettet: Stück egal, Hauptsache Hübchen.

Nächste Aufführungen Mittwoch, 27. April, Donnerstag, 28. April.

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