piwik no script img

Die Folterer gehen in Pension

Heute jährt sich zum 20. Mal die portugiesische „Nelkenrevolution“ / Ehemalige Geheimdienstler der berüchtigten „PIDE“ versuchen im Fernsehen, die Diktatur zu rehabilitieren  ■ Aus Lissabon Theo Pischke

„Sie war das Schlimmste, was es in diesem Land je gegeben hat“, sagt João dos Santos. Er meint die PIDE, die Geheimpolizei, die in der faschistischen Diktatur brutal jegliche Opposition unterdrückte. Auch João dos Santos hatte ihre Bekanntschaft gemacht, dort, wo er schon immer arbeitete, auf der Lissabonner Werft. Als die Arbeiter einmal streikten, weil der Lohn kaum zum Leben reichte, kam die PIDE und verhaftete alle. Weil es so viele waren, sperrte sie die Arbeiter kurzerhand in die Stierkampfarena am Campo Pequeno. João dos Santos blieb dort zwei Tage und zwei Nächte – ohne Essen, ohne Wasser. Dann ließ die PIDE ihn laufen. Er hatte Glück. Andere, als „Rädelsführer“ des Streiks beschuldigt, wurden ins Gefängnis geworfen.

Als die Diktatur am 25. April 1974 vom Militär unter Führung junger Offiziere gestürzt wurde, da gingen die einzigen Toten der „Nelkenrevolution“ auf das Konto der PIDE. Vor ihrem Hauptquartier in der Rua António Maria Cardoso eröffneten PIDE-Polizisten das Feuer auf die dort versammelten Menschen und töteten vier Zivilisten.

In den unruhigen Monaten nach der „Nelkenrevoluton“, als innerhalb kurzer Zeit eine Regierung auf die nächste folgte, wurde zwar eine „Kommission zur Auflösung der PIDE“ eingerichtet, vielen führenden PIDE-Männern gelang jedoch die Flucht nach Brasilien, nur wenige wurden für kurze Zeit inhaftiert. Dann kümmerte man sich nicht mehr um die Angelegenheit und schwieg über die PIDE und ihre schmutzige Arbeit.

Erst jetzt, zum 20. Jahrestag der „Nelkenrevolution“, hat in den Medien eine neue Debatte über die PIDE begonnen. Anlaß dafür war ein Fernsehauftritt: Oscar Cardoso, ehemaliger Inspektor der PIDE, konnte lang und unwidersprochen im Privatsender SIC darlegen, daß die PIDE eine an „Ethik“ und „Patriotismus“ ausgerichtete Polizei gewesen sei, die niemanden gefoltert oder getötet habe.

Die „großen Verdienste“ eines Geheimpolizisten

Die Zeitungen druckten daraufhin eine Reihe von Artikeln gegen die „Reinwaschung“ der PIDE, Folteropfer meldeten sich per Leserbrief zu Wort. José Augusto Rocha, Autor eines Buches über die PIDE, erinnerte an die Foltermethoden der Geheimpolizei: systematische Prügel, Schlafentzug, stundenlange Verhöre im Stehen. Und der Historiker Fernando Rosas berichtete, daß eben jener Oscar Cardoso am Nachmittag des 25. April 1974 den Befehl gab, auf die unbewaffnete Menge vor dem PIDE-Hauptquartier zu schießen.

Cardoso hatte schon vor zwei Jahren von sich reden gemacht. Beim dafür zuständigen Obersten Militärgerichtshof klagte er damals auf Zahlung einer monatlichen Pension und bekam Recht. Denn nach portugiesischem Gesetz hat jeder Staatsbürger, Zivilist oder Soldat, „der auf dem Kriegsschauplatz Selbstlosigkeit und Tapferkeit gezeigt und dem Vaterland große und bedeutende Dienste erwiesen hat“, Anspruch auf eine Pension. Der Kriegsschauplatz – für die Portugiesen hieß er Afrika. In den portugiesischen Kolonien Angola, Mosambik und Guinea- Bissau erhoben sich Anfang der sechziger Jahre Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialherren. Erst die „Nelkenrevolution“ brachte den Kolonien die Unabhängigkeit. Im Kampf gegen die Befreiungsbewegungen wurde auch die PIDE eingesetzt. Sie verhörte, folterte und tötete Gefangene. Mit dabei: Oscar Cardoso, über dessen Pension der Oberste Militärgerichtshof zu entscheiden hatte. Und der bescheinigte dem einstigen PIDE-Offizier Cardoso prompt eben diese „großen und bedeutenden Dienste“ fürs Vaterland. In vielen gefährlichen Missionen gegen die „terroristischen Elemente“ – wie die Befreiungsbewegungen im Urteil des Gerichts noch immer genannt werden – habe Cardoso sein Leben aufs Spiel gesetzt. Acht Jahre war der PIDE-Mann in Angola, bis er im November 1973 nach Portugal zurückbeordert wurde. „In Portugal habe ich niemanden umgebracht“, sagte Cardoso in einem Interview der Wochenzeitung Expresso. „Nur in Afrika, dort tötete ich viele Terroristen.“

Nach der „Nelkenrevolution“ war Cardoso knapp zwei Jahre inhaftiert. Danach ging er nach Südafrika und diente mit seinen Intimkenntnissen über die Bekämpfung von Aufständen dem weißen Apartheid-Regime. Zwanzig Jahre nach der Auflösung seiner Folterpolizei lebt er wieder in Portugal, auf einem kleinen Landgut in der Provinz Alentejo. Dort ist es beschaulich und ruhig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen