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„Jetzt habe ich keine Angst mehr“

Nach der Flucht aus Bosnien hat die Familie Subašić Aufnahme im brandenburgischen Schlabendorf gefunden  ■ Von Rüdiger Rossig

Gemüsegärten säumen die Straße durch Schlabendorf. Der Anblick von Paprika, Gurken und Kopfsalat steht in krassem Gegensatz zu dem Ödland, das nur wenige Meter hinter den Holzzäunen beginnt, die die schmucken Häuser umgeben. „Zwei Jahre länger DDR, und es gäbe unser Dorf nicht mehr“, sagt Pfarrerin Adelheid John und blickt auf die Skelette der Abraumbagger, die in der Ferne aus dem Braunkohlentagebau ragen. Wie viele Dörfer im Kreis Luckau der Kohle weichen mußten, weiß die resolute, grauhaarige Mittfünfzigerin nicht. Den 250 Einwohnern von Schlabendorf blieb dieses Schicksal erspart, weil Adelheid John kurz nach Honeckers Sturz eine Bürgerinitiative gründete. Die stemmte sich mit Macht gegen die Erweiterung der Grube und gewann.

Im Garten der Pfarrei legt Adem Subašić ein Rondell aus Steinen zusammen, in das er Blumen pflanzt. Ihn, den 53jährigen Bosnier, hat kein gnädiges Schicksal davor bewahrt, seine Bleibe zu verlieren. „Wir hatten ein großes Haus“, erzählt er, „meine Frau war Lehrerin, ich habe als landwirtschaftlicher Berater gearbeitet.“ Sieben weitere Häuser in der 33.000-Einwohner-Gemeinde gehörten Geschwistern der Subašićs, als im Frühjahr 1992 der Krieg begann. Vor 17 Monaten mußten Adem, seine Frau Šemsa, Tochter Larisa und die Großmutter Fadila ihr Haus in der Kleinstadt Bosanska Dubica den serbischen Behörden schenken, die dort seit Beginn des Krieges um Bosnien vor zwei Jahren das Sagen haben.

„Dabei wurde in Nordwestbosnien nie gekämpft“, sagt Adem, „bei uns haben die Tschetniks die Macht einfach übernommen.“ Schon im September 1991 hatten die Menschen seiner Heimatstadt zuschauen müssen, wie die Brücke zum Nachbarort auf der kroatischen Seite des Flusses Una von Soldaten der „Jugoslawischen Bundesarmee“ JNA zerstört wurde. Alle kroatischen Einwohner wurden vertrieben. Auf der bosnischen Seite des Flusses begann die „ethnische Säuberung“ knapp ein Jahr darauf. „Erst brannte ein Stall, dann noch einer, und dann haben sie die Moschee im Stadtzentrum angezündet“, sagt Adem tonlos. Zuletzt begann die Jagd auf die nichtserbischen Einwohner des Städtchens. 53 Bürger wurden in das berüchtigte Lager Manjačka gesperrt. Angeblich hatten sie Waffen versteckt. Die Militärpolizei bestellte auch Adem unter einem Vorwand zu sich, verhörte ihn und schickte ihn nach einigen Tagen an die Front. Dort hob er Schützengräben aus.

„Jede Nacht habe ich gezittert, ich konnte nie sicher sein, ob er zurückkommt“, sagt seine Frau Šemsa. Der Terror gegen Kroaten und Muslime nahm zu. Die Militärpolizei verlangte von Adems Familie, mit 10.000 Mark die serbische Seite zu unterstützen. „Wir haben alles zusammengekratzt, für 100 Mark den Fernseher verkauft, 400 haben uns die Tschetniks für unseren fast neuen Golf gegeben.“

Über Verwandte, die Bosanska Dubica bereits verlassen hatten, kamen die Subašićs in Kontakt mit dem Bonner Verein „Den Krieg überleben“. Er besorgte die Reisedokumente, die Einladungen in die Bundesrepublik und die Transitvisa für Kroatien. Vor acht Wochen kamen die Subašićs in Schlabendorf an. Noch immer hat sich die 49jährige Šemsa nicht recht daran gewöhnt, wieder eine eigene Küche zu haben.

Fadila, Adems 82jährige Mutter, schweigt, während ihre Schwiegertochter spricht. Schon vor dem Krieg habe die Schwiegermutter Herzbeschwerden gehabt, erzählt Šemsa. „Aber wenigstens habe ich jetzt keine Angst mehr“, sagt Fadila, „ich kann wieder schlafen.“ – „Es geht ihr besser und besser, seit wir hier angekommen sind, sie unsere Gastgeber kennengelernt hat und weiß, daß sie wieder kochen kann, was sie will“, so Šemsa, als Fadila den Raum verlassen hat. „Jetzt ist ihr am wichtigsten, noch einmal ihre ganze Familie versammelt zu sehen.“ Ein schwieriges Unterfangen. Die sieben Subašić-Brüder, die Bosanska Dubica verlassen konnten, leben verstreut in Deutschland.

Immerhin sind alle Subašićs privat untergekommen. Die allermeisten Flüchtlinge aus Bosnien, die die „ethnischen Säuberungen“ überlebt haben, fristen ihr Leben in den unterversorgten Gebieten Zentralbosniens – oder müssen in den exjugoslawischen Nachbarrepubliken mit zwischen umgerechnet einer und fünfzehn Mark im Monat überleben.

Die 18jährige Larisa lobt die neue Umgebung, die netten Gastgeber, die Ruhe im Garten des Pfarrhauses von Schlabendorf. Erst auf die Frage, was ihr am meisten fehlt, beginnt sie von ihrem verlorenen Leben in Bosnien zu erzählen. „Ich vermisse meine Freundinnen und Freunde, aber auch die Schule und all die Sachen, die früher ganz normal waren.“ Jetzt lernt Larisa jeden Tag ein wenig mehr Deutsch, Anrecht auf einen Platz in der Schule wird sie erst im Juni haben, wenn das Touristenvisum der Subašićs ausgelaufen ist.

Es ist Abend geworden, und Hubert, der Mann von Pfarrerin Adelheid John, läutet den Abend ein. Stolz lädt Adem Subašić in den von ihm angelegten Gemüsegarten ein. „Seit Anfang der achtziger Jahre haben wir unter diesem Damoklesschwert gelebt“, sagt Pfarrerin John und zeigt auf die Braunkohlengrube am Ortsrand. Schon ihr Großvater war Pfarrer von Schlabendorf, sie selbst ist in dem Haus neben der alten Kirche aufgewachsen.

Die Subašićs sind die zweite bosnische Familie, die die Johns aufgenommen haben. Die Frage, warum sie Kriegsflüchtlingen auf diese Art hilft, statt Geld, Kleider oder Medikamente zu spenden, scheint die Pfarrerin zu verwundern. „Wir sind doch Christen“, sagt sie, „und außerdem konnte ich diese schrecklichen Bilder jeden Abend im Fernsehen nicht mehr ertragen.“ Aus einer Kirchenzeitung hatte sie von der Möglichkeit erfahren, vom Krieg bedrohte Menschen privat in die Bundesrepublik einzuladen. „Der Anbau unseres Hauses stand sowieso gerade leer, also haben wir angeboten, eine bosnische Familie aufzunehmen.“ Finanziell wird die fünfköpfige Pfarrersfamilie von Freunden und Nachbarn bei der Versorgung ihrer Gäste unterstützt, denn behördlich sind die Subašićs als Touristen gemeldet. Den Status von Kriegsflüchtlingen können privat in die Bundesrepublik eingereiste Bosnier erst nach drei Monaten erlangen, und erst ab diesem Punkt sind sie auch sozialhilfeberechtigt. Längerfristig hofft Adem Subašić Arbeit in der Landwirtschaft zu finden.

Ob die Subašićs den Tag, an dem die Braunkohlengrube fruchtbaren Feldern gewichen ist, in Schlabendorf erleben werden?

Kontakt über: „Den Krieg überleben“, Römerstraße 213, 53117 Bonn, Tel.: 0228/687055, Fax: 687723, Konto 10 11 936 012, Bank für Kirche und Diakonie Duisburg, BLZ 350 601 90

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