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SPD-Krise: Warum, wieso, wohin?

■ Basis hat Kungelbonzen und rechte Rathauspolitik satt Von Florian Marten

Gründen die SPD-Kreise Wandsbek und Mitte jetzt eine eigene Partei? Flieht Henning Voscherau im Oktober nach Bonn? Platzt die rot-graue Koalition? Wird Jörg Kuhbier rot-grüner Bürgermeister? Oder bleibt bei den Sozis alles wie es ist? Fragen über Fragen, sicher ist nur: Die SPD steckt in der Krise.

Dabei konnte der Anlaß lächerlicher kaum sein: Ein rechter Kungelkandidat wurde nicht gewählt – und schon verabschieden sich die rechten SPD-Machtzentren, die Kreise Wandsbek und Mitte, fast komplett aus der Führungsspitze ihrer Partei. Lächerlicher Anlaß, tiefe Ursache: Die chronische Strukturkrise der SPD, zuletzt durch Wahlerfolge und kräftige Kungeleien der Führungsgremien nur mühsam gebändigt, ist in eine akute, heiße Phase getreten. Mag die Heftigkeit des Ausbruchs auch überraschen – ganz unerwartet kam er nicht. Der provozierende Rücktritt des redlichen, aber zu weichen Parteichefs Helmuth Frahm hat die Schleusen geöffnet. Die bittere Wahlniederlage vom September, mithilfe einer bürgerlichen Selbsthilfe-Truppe namens Statt Partei in ein wundersames und reformfreies Weiterregieren gewendet, brachte das Faß jetzt zum Überlaufen.

Der Linksruck bei den Vorstandswahlen entstand durch eine Mischung aus bewußter Vormarschstrategie einer kleinen altlinken Putschistengruppe (Motto: Jetzt holen wir uns die Mehrheit) und der Lust eines guten Drittels der Delegierten auf eine eigene Meinung. Die Überreaktion des rechten Flügels stimmt, wo sie die – wenigen – kungelbrüchigen Linken meint, geht aber insgesamt gründlich daneben, weil erst die „freie“ Mitte den Ausschlag gab. Der neue Vorstand bildet erstmals seit Jahren die Parteibasis politisch halbwegs maßstabsgetreu ab.

Kein Wunder, daß die rechte Minderheit, im Senat in der Mehrheit, in der Fraktion etwa gleichauf, panisch davor zittert, dieser Trend könnte sich auch Richtung Rathaus fortsetzen. Pfründe und Posten gerieten in ernsthafte Gefahr. Der neue Vorstand hätte, das weiß auch der rechte Flügel, im vergangenen Herbst eine rot-grüne Koalition durchgesetzt. Eine verfahrene Situation: Im Rathaus ist die rechte Welt in Ordnung, in der Partei haben die Gegenkräfte die Führung übernommen.

Eine Schlüsselrolle kommt dem neuen Parteichef Jörg Kuhbier zu. Der offenkundige Wandel des altlinken Parteisoldaten zum Kämpfer für Erneuerung und eine Öko-Linkswende der Regierungspolitik macht ihn zu einer gefährlichen Herausforderung für das amtierende Rathaus-Establishment. Ohne den couragierten und kompromißarmen Auftritt Kuhbiers auf dem Landesparteitag hätten die Delegierten den Putsch gegen die Seilschaften und die Transrapid-Liebe des Bürgermeisters wohl kaum gewagt.

Kuhbiers Erfolgsgeheimnis: Er verzichtete aufs Kungeln, machte der Partei Mut zu Unabhängigkeit und einer eigenen Meinung. Bleibt Kuhbier auf diesem Kurs, stehen Partei, Journaille und Stadt politisch buntbewegte Zeiten bevor.

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