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Wederstraße statt Autobahn

In „Neu-Britz“ kämpfen Besetzer und Bürgerinitiativler seit über zehn Jahren gegen den „Stadtring-Süd“ / Leben auf dem Land mit U-Bahn-Anschluß  ■ Von Uwe Rada

Carl Weder hatte Pech. Als sich der Buchbindermeister und engagierte Bodenreformer im Jahre 1890 mit Gesinnungsgenossen der Fortschrittspartei in der Hinterstube seiner Wohnung traf, war der Britzer Gendarm sofort zur Stelle. Neben 15 weiteren Personen wurde auch Carl Weder wegen einer „verbotenen Versammlung“ festgenommen. Mit ihm wurde im Rixdorfer Süden – heute das südliche Neukölln – ein sozial engagierter Bürger kaltgestellt, der seit 1871 Grundstücke in „Neu-Britz“ aufgekauft und Handwerksmeistern für billiges Geld zur Verfügung gestellt hatte. Der letzte Triumph blieb der kaiserlichen Polizei freilich versagt: Die gewünschte Umbenennung der nach Weder benannten Straße scheiterte, der Name des Bodenreformers blieb – nicht zuletzt durch das Votum der Bevölkerung – dem Viertel um die Julius-, Bürger-, und Rungusstraße erhalten.

Hundert Jahre später gibt es die Wederstraße noch immer, und es scheint, als hätte sich kaum etwas verändert. Zweistöckige Gründerzeitbauten säumen den leicht abschüssigen Kopfsteinpflasterweg, Katzen verschwinden hinter schief gezimmerten Holzschuppen. Zwischen Britzer Damm und Buschkrugallee gelegen, steht das Viertel, ähnlich wie die Spandauer Vorstadt, für eine unverhoffte Idylle, die seltsam altmodisch anmutet und die keiner missen möchte. „Hier zu wohnen“, sagt Tommy, „ist im Grunde wie Leben auf dem Lande, nur mit U-Bahn- Anschluß.“ In der Wederstraße 50, einem „Bürgerbauernhaus“ aus dem vergangenen Jahrhundert, mit Remise, Stall und Fachwerkschuppen, hat die „Bürgerinitiative Stadtring-Süd“ (BISS) ihren Sitz. Seit nunmehr achtzehn Jahren kämpfen die Autobahngegner gegen die Verlängerung der Stadtautobahn, die nach dem Mauerfall nunmehr über das Ostkreuz und den Volkspark Prenzlauer Berg auf die Ostseestraße führen soll. Noch in diesem Jahr will der Senat ein Planfeststellungsverfahren für den ersten Abschnitt bis zur Ballinstraße eröffnen. Die Wederstraße, die mitten auf der Trasse liegt, wird es dann nicht mehr geben.

Als vor achtzehn Jahren die Pläne für einen Autobahnring konkret wurden, wehrten sich vor allem die Bewohner der „Haberechts-Siedlung“ gegen den geplanten Abriß ihrer Häuser. Flugs war eine BI gegründet, und eine Normenkontrollklage vor dem Oberverwaltungsgericht brachte 1979 mit einem Baustopp unerwarteten Erfolg. Doch der Senat hielt an der Autobahnplanung, die bereits im ersten Flächennutzungsplan (FNP) von 1965 festgeschrieben wurde, weiter fest. In den Stadtplänen Anfang der achtziger Jahre war als Planung nicht nur der Stadtring-Süd bis an die Treptower Grenze eingezeichnet, sondern auch ein Autobahn-Teilstück, das über die Hasenheide zum Oranienplatz führen und an der Mauer endend den Anspruch auf Wiedervereinigung demonstrieren sollte. Nach dem Debakel von 1979 sollte 1982 nun ein „Linienbestimmungsverfahren“ die Trasse geringfügig ändern und damit den gewünschten Erfolg bringen. Doch die Rechnung wurde ohne die Anwohner gemacht: 87,5 Prozent sprachen sich nicht nur gegen die geplante Trasse, sondern gegen die Autobahn insgesamt aus. „Danach“, erinnert sich Tommy, „ist der Senat erst mal untergetaucht.“

Der Abstimmungserfolg der Autobahngegner war auch ein Erfolg der BISS, die aus der BI der Haberechts-Siedlung hervorgegangen war und 1982 ein Büro in der Wederstraße 50 bezogen hat. Der ehemalige „Bürgerbauernhof“ war eines von drei Häusern, die im Rahmen des damaligen Häuserkampfs in Britz instandbesetzt wurden. Doch statt des gewünschten Nutzungsvertrags bekamen Besetzer und Bürgerwegte lediglich einen befristeten Vertrag, der sich im besten Fall jährlich verlängerte. „Da spätestens wußten wir, daß das Tauziehen um die Autobahn weitergeht“, meint einer der Bauernhofbewohner. Wenig später wurden andernorts bereits Fakten geschaffen. Leerstehende Wohnhäuser wurden abgerissen, andere entmietet und kurzfristig mit Obdachlosen belegt. Bis heute, hat die BISS errechnet, wurden jährlich zwischen zwei und drei Altbauhäuser dem Erdboden gleichgemacht. Planung mit der Planierraupe.

In der Zwischenzeit hatten die Bewohner der Wederstraße 50 begonnen, das baufällige Gebäude wiederherzurichten. Eine Solaranlage wurde eingebaut und sorgt seither täglich für 600 Liter heißes Wasser, der vordere Teil des Gebäudes, das von den früheren „Bürgerbauern“ als „Altenteil“ genutzt wurde, wurde mit Unterstützung von „Netzwerk“ zum Gästehaus umgebaut. Als schließlich 1989 der rot-grüne Senat ankündigte, die Autobahnpläne aus den FNP zu streichen, glaubte keiner mehr an das Ende der Idylle. Bis die Mauer fiel. „Ziemlich schnell“, sagt ein Bewohner, „gab es eine große Ost-West-Koalition für den freien Autoverkehr.“ Mittlerweile stehen die Bezirksämter in Neukölln und Treptow voll und ganz hinter der Planung, obwohl erst neulich eine Studie der Verkehrsverwaltung ergeben hat, daß die Weiterführung des Stadtrings nicht einmal in der nahe gelegenen Silbersteinstraße für Entlastung sorgt.

Allzuviel Hoffnung auf eine politische Entscheidung machen sich die BI-Aktivisten in der Wederstraße heute nicht mehr. Seit 1993 verlängert sich der Vertrag für den „Bauernhof“ nur noch vierteljährlich, und wenn das Planfeststellungsverfahren eröffnet ist, sagt Tommy, wird die Bürgerbeteiligung zur Farce. Vielmehr setzt die BISS nun auf Klagen privater Grundstückseigentümer. „Die Hälfte der Parzellen befindet sich noch in Privatbesitz“, grinst Tommy. Ein bißchen scheinen die BI-Aktivisten zu hoffen, daß der Geist Carl Weders seiner Tilgung aus dem Straßenbild ein zweites Mal widersteht.

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