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Wirtschaft wächst, Arbeitslosenheer auch

Fünf Institute rechnen mit einem Wachstum von 1,5 Prozent, das Berliner DIW sieht hingegen die Wirtschaft auch 1994 schrumpfen / Mehrheit gegen Ergänzungsabgabe  ■ Aus Bonn Hermann Keßler

Für 1994 rechnen die Mehrheit der großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute mit einer konjunkturellen Belebung bei ungebrochen weiter steigender Arbeitslosigkeit. Bei der Vorstellung ihres Frühjahrsgutachtens prognostizierten die Wirtschaftsexperten ein gesamtdeutsches Wachstum von 1,5 Prozent und einen Anstieg der Arbeitslosenzahl im Westen um 330.000 auf 2,6 Millionen und im Osten um 70.000 auf 1,22 Millionen. Die Arbeitslosenquote läge dann bei 16 Prozent im Osten und 8,4 Prozent im Westen.

Der prognostizierte Aufschwung soll dabei im wesentlichen von einer steigenden Auslandsnachfrage getragen werden. Im Inland würden die Realeinkommen dagegen 1994 um 1,5 Prozent zurückgehen, geringere Ausgaben der Konsumenten belasteten weiterhin die Konjunktur.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus Berlin betonte in einem Minderheitsvotum, daß die ausbleibende Nachfrage im Inland die Wirtschaftsentwicklung 1994 erheblich hemmen werde. Schuld daran sei der erwartbare Kaufkraftrückgang um real 3 Prozent. Zu den Lohnabschlüssen, die deutlich hinter der Inflation zurückgeblieben seien, kämen zusätzlich Belastungen durch Steuern und Sozialversicherungen. Als „stärkste Abnahme aller Zeiten“ bezeichnete das DIW diesen Schwund, der selbst den bisherigen Rekordhalter 1982 (Rückgang 2 Prozent) übertreffe. Insgesamt ist das DIW deshalb pessimistischer, rechnet mit einem Nullwachstum im Westen und mit 0,5 Prozent Wachstum gesamtdeutsch.

Die Inflation wird nach der Prognose der Mehrheit der Institute 1994 auf 3 Prozent im Westen und 4 Prozent im Osten zurückgehen. Die Bundesbank könne die Leitzinsen bis zum Jahresende um weitere zwei Prozent senken, meinte die Mehrheit.

Die Wirtschaftsforscher sparen auch in diesem Jahr nicht mit Empfehlungen. Den Arbeitnehmern im Osten empfahlen sie Geduld. Die Anpassung der Ostlöhne an West- Niveau sollte weiter verlangsamt werden. Das müsse ja nicht ewig dauern, schließlich sei die konjunkturelle Talfahrt bereits seit Ende 1993 beendet. In den nächsten Monaten könne man mit einem kräftigen Anstieg rechnen. Weitere Zurückhaltung in der Lohnpolitik sei geboten.

Dafür sorge nicht zuletzt die gesteigerte Rentabilität der Unternehmen, die durch niedrige Tarifabschlüsse und Entlassungen ihren Ballast abgeworfen haben. Günstige Lohnstückkosten und ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1 Prozent im Westen und 7,5 Prozent im Osten (BRD gesamt: 1,5 Prozent) seien die Folge.

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