■ Filmstarts a'carte: Standard-Neo & Fug & Recht
Unter der Rubrik „Ein Film, der so recht danebenging“ finden wir heute Cinema Paradiso, in dem ernsthaft behauptet wird, Sizilien und das Kino seien so lange noch gut gewesen, bis alle ein Auto hatten und die Supermärkte kamen. Alles ist so pittoresk hergericht' wie die Besatzung eines Holzkarussells für unsere Kleinen; da ist der schrumpelige Kinoerzähler und sein Ziehsohn, die schöne Mama, Mamas Liebhaber, der Mondenschein, die Lilian- Harvey-Fotos und dann das alles verschlingende Feuer.
Auf diese Weise versucht ein ältlich gewordenes Medium offenbar, sich in die Geschichte der zu Unrecht ausgestorbenen Kulturdinos einzuschreiben. Es war einst das Fenster zur Welt für den kleinen Gino oder Nino, und es sieht irgendwie nicht ein, daß es sich seinen angestammten Platz gefälligst mit dem Erzteufel Fernsehen zu teilen hat. Geht nicht dorthin, ziehet keine 4.000 Mark ein.
Demgegenüber hat das Arsenal die Sache bei den Hörnern gepackt und eine Filmreihe gleich Mythos Sizilien getauft. Cinema Paradiso ist leider auch wieder dabei, aber diesmal adäquaterweise eingerahmt von Francesco Rosis Putschchronik Die Macht und ihr Preis mit einem wundergrummelnden Lino Ventura (wer könnte zwischen Peter Falk und Lino Ventura entscheiden).
Auch wenn in diesem unserem Hause der Neorealismo ein karges, mit Skepsis betrachtetes Schattendasein führt (er hat es so gewollt): La Terra Trema von Luchino Visconti weicht ein bißchen vom Standard-Neo und seinen doch wohl mit Fug & Recht sexistisch bis melodramatisch zu nennenden Figurationen ab. Die Protagonisten sind echte Einwohner eines echten Fischerdorfes Aci Trezza, meist Fischerfamilien, die von den Großhändlern ausgehungert werden.
Aus gut und besser unterrichteten Kreisen heißt es, daß für den Regisseur Jan Schütte der Autor Strittmatter das ist, was Marie Luise Fleißer für Fassbinder war: Mit Volkes Stimme reden und trotzdem Kunst machen. So ganz kommt man nicht hinter seine Motive: seine Protagonisten sind gern mindestens zwanzig Jahre älter als er und hoffnungsvolle marginalisierte Kleine-Männer-was- Nun, aber das Ganze bleibt trotzdem meist angenehm unprätentiös. Drachenfutter porträtiert einen Chinesen und einen Pakistani, die against all odds nicht etwa einen Waschsalon, sondern ein Restaurant aufmachen wollen. Tellerwaschen hilft nur begrenzt, das Restaurant kommt zustande und sieht wirklich schön aus, dampfende Reisplatten, freundliche Gesichter hinter der Durchreiche und angeheimelte Gäste, aber was hilft's. Die Staatsgewalt langt mit Krakenarmen nach dem Mann ohne Aufenthaltsgenehmigung, und der Chinese rettet den Freund nicht mehr.
Demgegenüber fährt man, lange vor Buck, in Winckelmanns Reisen mit einem Vertreter für hübsche eihaltige Shampoos, und eine Kollegin vermeldet, daß das mitunter recht lustig ist, wie er da so sein Zeug anpreist auf dem flachen Land Schleswig-Holsteins, auch er ein liebenswerter Biedermann. Seine Frau fühlt sich am wohlsten mit einem Trabbi-Fahrer. Seine Liebste, eine gewisse Kellnerin Alini, gegeben von Susanne „Lulu“ Lothar, will ins Weite nach Ostende, und weil er ihr die drei Worte nicht sagen kann, fährt sie schließlich...
Schüttes neuester Film Auf Wiedersehen Amerika wird wider Erwarten erst am 12.Mai anlaufen.
Mariam Niroumand
Alle überregional anlaufenden Filme werden auf den Kulturseiten der Donnerstagsausgabe besprochen.
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