: Abschied von Babylon: Schizophrenie ist nicht überall dasselbe
■ Weltkongreß für soziale Psychiatrie im Juni in Hamburg /Auch interessierte Laien können teilnehmen
Während der Arzt einfach eine Mandel-Entzündung diagnostizieren kann, hat es die Psychiaterin oder Psychologin schwerer: Oft sind psychische Störungen so individuell ausgeprägt, daß sich ein klassisches Bild nicht ausmachen läßt. In den USA und in der Schweiz etwa wird dann häufiger die Diagnose Schizophrenie gestellt als in der BRD. Das liegt nicht am unterschiedlichen Aufkommen, sondern an den national verschiedenen Definitionen. Wollen sich dann amerikanische mit deutschen PsychologInnen unterhalten, führt das zu Mißverständnissen. Ganz schwierig wird es, wenn sogenannte Laien mit sogenannten Profis kommunizieren wollen.
Diese Sprach-Verwirrung ist ein Hauptaspekt des 14. Weltkongresses für soziale Psychiatrie, der vom 5. bis zum 10. Juni im Hamburger Congress Centrum stattfinden wird. Doch unter dem Kongreß-Motto „Abschied von Babylon – Verständigung über die Grenzen in der Psychiatrie“ soll auch über die Verquickung von gesellschaftlichen Bedingungen bei der Entstehung von psychischen Störungen geredet werden. So werden nicht ohne Grund sozial Schwächere und auch Frauen überproportional häufiger psychisch krank.
Besonders gewichtet wurden zusätzlich die politischen Bedingungen der Psychiatrie. Denn nicht nur während des Nazi-Regimes wurde die Psychiatrie mißbraucht, auch heute noch und besonders in osteuropäischen Ländern leiden psychisch Gestörte unter verbrecherische Methoden der Gefangenschaft in krankenhaus-ähnlichen Heimen.
Als Ziel des Kongresses sieht Thomas Bock, Sprecher des Programm-Komitees, daß „sowohl PatientInnen, deren Angehörige als auch die Professionellen miteinander und untereinander ins Gespräch kommen“. Deshalb ist der Kongreß offen für alle Interessierten, die ReferentInnen wurden gebeten, kein Fachchinesisch zu verwenden, und außerdem werden fast alle Beiträge simultan in deutsch, englisch und spanisch übersetzt.
Bislang bekundeten 2300 Menschen ihr Interesse - jetzt schon mehr, als an den vorangegangenen Treffen in Delhi und Rio teilnahmen. Wer dabei sein möchte, hat noch bis Kongreß-Beginn Zeit mit der Anmeldung, die Preise liegen zwischen 200 und 600 Mark, je nach individueller Finanzkraft. Da rund 300 Vortragende aus osteuropäischen Ländern kommen, die ein Hotel nicht bezahlen können, sucht das Programm-Komitee noch Zimmer, die von Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden könnten.
Das außerordentlich spannende Programm, das auch Themenbereiche wie Sucht, Depression und kultur-spezifische Behandlungs-Verfahren behandelt sowie einige Frauen-bezogene Vorträge bietet, kann angefordert werden beim Sekretariat des Weltkongresses mit der Hamburger Telefon-Nummer 4717-5464, unter der auch Anmeldungen und Zimmer-Angebote entgegengenommen werden.
Ergänzt wird das Programm durch kulturelle Veranstaltungen. Im CCH wird eine Ausstellung mit Bildern von psychisch Gestörten zeigt, in Planten & Blomen wird der alte Faust „sehr lebendig“ (Bock) neu inszeniert. Das Metropolis-Kino bietet außerdem eine Film-Reihe zu diesem Thema an, während der multikulturelle Chor „Canto Generale“ das Musische nicht zu kurz kommen läßt.
Annette Bolz
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