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Der Wind mit dem Klassenstandpunkt

■ Ehemalige Mitglieder von „Zirkeln Schreibender Arbeiter“ trafen sich

Was machen ehemalige Mitglieder von „Zirkeln Schreibender Arbeiter“, wenn mit dem Untergang ihres Betriebes Arbeit und Zirkel verschwunden sind? Entweder inspiriert sie das zum Schreiben, oder sie legen den Stift beiseite, weil sie „blockiert“ sind. Brigitte Fröhlich, eine der ungefähr dreißig Besucher, die am Mittwoch zum ersten Treffen ehemaliger Hobbyschreiber ins Archiv „Schreibende ArbeiterInnen“ in der Brunnenstraße gekommen ist, konnte nach dem Mauerfall lange nicht schreiben. „Ich hatte einen Schock.“ Auch wenn ihr jetzt keinerlei Grenzen mehr gesetzt sind, ist sie frustriert. „Nun können wir zwar schimpfen, aber es nützt genausowenig.“

Schreiben wie Charles Bukowsky

Ganz anders Irmgard Laps, die im Kombinat Tiefbau das „Einmaleins des Schreibens“ gelernt hat. Für sie war die Wende geradezu eine „Befreiung“. Denn 1982 wurde die „praktizierende Christin“ wegen einem Vierzeiler von der Stasi verhört: „Natürlich habe ich einen festen Stand, sagte der Wind, und ließ sich hin- und herwehen.“ Die wenigen Christen, die es in den Zirkeln gab, stimmt ihr eine Pfarrerstochter zu, hatten es nicht leicht. So durfte das Wort Gott nicht vorkommen. Zum Glück, so Astrid Salzmann, die früher im Zirkel der Druckerei des Neuen Deutschland geschrieben hat und jetzt im Autorenkreis Friedrichshain, konnte der „gelernte DDRler zwischen den Zeilen schreiben“. Die 34jährige, die ihre ganze Zeit zum „materiellen Überleben“ braucht, würde, hätte sie die Zeit, wie Charles Bukowsky schreiben.

In den Dokumenten, die im Flur des Archivs hängen, ist zu lesen, was die Aufgabe der Ende der fünfziger Jahre gegründeten Zirkel war: die „kulturpolitische Linie“ der Partei sollte „schöpferisch verwirklicht“ werden, die literarischen Ergüsse aus Arbeiterhand zur „Sicherung des Friedens und der allseitigen Stärkung der DDR“ beitragen. In dem kleinen Archiv hängt eine DDR-Landkarte, auf der mit bunten Nadeln die bisher 171 gesichteten Zirkel von Anklam bis Zwickau markiert sind, von denen es allein in Berlin siebzehn gab. Barbara van der Heyden, eine der drei Mitarbeiterinnen des ABM-Projektes, geht von etwa 1.000 Zirkeln aus.

Ohne Eigenleistung kaum Veröffentlichung

Als das Archiv Ende 1992 gegründet wurde, war es fast schon zu spät, so die Historikerin. Denn viele Betriebszeitungen, Brigadetagebücher, Zirkel-Chroniken und Zeitschriften waren schon vernichtet worden. Mehr Glück hatte Waldemar Brust, der viele Jahre im Zirkel des Kombinats Tiefbau geschrieben hat, dessen Leiter aus einem Liebesgedicht im Handumdrehen ein Parteigedicht machen konnte. Wenige Tage vor dem Abtransport Tausender Bücher auf eine Müllkippe konnte sein Enkel die letzten Exemplare seines im Sommer 89 beim Aufbau-Verlag erschienenen Buches retten. „Wir haben 1933 schon mal eine Vernichtungswelle mitgemacht“, kommentiert der 79jährige die Vernichtung von DDR-Literatur. Jetzt schreibt er noch „im kleinen Rahmen“ an der VHS Treptow, wo eine ehemalige FDGB-Leiterin für ehemalige Zirkelmitglieder einen Kurs leitet. Im Unterschied zu anderen ist er realistisch und macht sich keine Hoffnung, daß sich ein Verlag zur Neuauflage findet. Irmgard Laps hat nach dem Motto „Ohne Eigenleistung ist Veröffentlichung kaum möglich“ 6.000 Mark für den Druck eigener Werke bei einem Westberliner Verlag bezahlt. „Wenn man glaubt, so in die Literatur einzugehen, macht man sich was vor“, kommentiert der ehemalige Leiter des Zirkels im Haus der Deutsch- Sowjetischen Freundschaft Verlage, die nicht von ihren Käufern, sondern von ihren Autoren leben.

Das Archiv bietet seine aus derzeit 100.000 Titeln bestehende Sammlung und den Katalog, der in einem von der Unesco gespendeten Computer gespeichert ist, nicht nur als Treffpunkt für Zirkel an, sondern auch als „Fundgrube“ für Forschungszwecke. Trotz eines gewissen Vorbehalts gegenüber „Trivialliteratur“ von Laien wird ein Germanistikprofessor der FU demnächst ein Seminar im Archiv durchführen. Zur weiteren Finanzierung wurden Dutzende von Stiftungen „unterschiedlichster politischer Couleur“ angeschrieben, von denen die meisten aber abgesagt haben. Barbara Bollwahn

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