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„Regt Euch nicht auf!“

■ Jörg Kuhbiers Rezept für den Patienten SPD: Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe / Funktionärsschelte unerwünscht Von Uli Exner

Der Appell des Parteichefs wirkt - ungewollt - dramatisch: „Laßt Euch nicht provozieren! Bemüht Euch die Sichtweise des Andersdenkenden zu verstehen! Zu Panik und Demotivation besteht überhaupt kein Grund. Versucht nicht, die Geschehnisse aufzuarbeiten - es würde den Konflikt nur verschärfen. Regt Euch nicht auf!“

Sätze aus einem Brief des frischgebackenen SPD-Vorsitzenden Jörg Kuhbier, den die Vorsitzenden sämtlicher Hamburger Ortsvereine heute aus ihrem Briefkasten fischen können und der der Parteibasis eigentlich deutlich machen sollte, daß „die Tatsache, daß Petra Brinkmann, Petra Adam-Ferger, Günter Elste und Volker Lange ihre Wahl nicht angenommen haben“ kein Ausdruck für „eine große Krise“ der SPD sei.

Ob er damit richtig liegt, muß sich allerdings erst noch erweisen. Fakt ist, daß sich eine Woche nach dem Rückzug der vier Parteirechten derzeit vor allem die zur Parteilinken gerechneten SPD-Funktionäre wenig erfolgreich um „Deeskalation“ bemühen, während die rechten Meinungsführer aus den Kreisen Wandsbek und Mitte sich in den Schmollwinkel verzogen haben. „Wir haben zwei funktionierende Kreise,“ so ein trotziger Rechter zur taz, „wir brauchen die Landesorganisation nicht“. Der absurd anmutende Verdacht, daß die minimale Abweichung bei der Wahl des Landesvorstands nicht Ergebnis demokratischen Wandels in der Partei, sondern gezielten Austricksens des rechten Flügels war, läßt sich nicht ausräumen. Und selbst wenn: „Dann haben Jan und Ortwin ihre Truppen eben nicht im Griff gehabt.“ Ein Zitat, das auf die Ursachen für den kopflos wirkenden Abgang der Elste, Lange und Co. weist.

Jahrzehnte an das Funktionieren von Absprachen und Kungeleien gewohnt, können sie es nicht fassen, daß die einst so mächtigen linken Häuptlinge Ortwin Runde und Jan Ehlers ihre Machtposition inzwischen eingebüßt haben; daß die Schlagworte von Transparenz, Offenheit, Reformnotwendigkeit in der Parteilinken eher zur Erosion der alten Strukturen führen mußten als bei der auf Status-Erhalt erpichten Rechten.

Die damit gebundenen Verlust-Ängste dürften es Kuhbier nicht leichter machen, den eingeschlagenen Beschwichtigungskurs einzuhalten, ohne den vor seiner Wahl erhobenen Anspruch auf größere Macht-Partizipation der Partei nicht schon zum Beginn seiner Amtszeit aus den Augen zu verlieren. Das deutliche Signal jedenfalls, das die Rechten von ihm erwarten, um ohne allzu großen Gesichtsverlust in den Parteivorstand zurücckehren zu können, kann er nicht setzen, ohne selbst an Profil zu verlieren.

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