: Radikalisieren oder resignieren
Obwohl eine Selbstverständlichkeit, wird den Studierenden die Mitsprache an der Studienreform verweigert / Allein Mitsprache genügt nicht, richtig mitbestimmen wollen... ■ Horst Teubert und Max Ehlers
Unbestritten: Ddie bundesdeutschen Hochschulen haben Reformen bitter nötig. Überfüllte Veranstaltungen, zu kleine und schlecht ausgestattete Bibliotheken, mangelhafte didaktische Qualifikationen von Lehrenden – drei von vielen Mißständen, die nicht zuletzt durch die systematische Unterfinanzierung der Hochschulen hervorgerufen wurden. Bund und Länder wollen dem mit einer Reform abhelfen, die sich einseitig an Wirtschaftsinteressen orientiert. Vorgesehen sind unter anderem Studiengebühren und Zwangsexmatrikulation für Längerstudierende. Vor allem Einkommensschwache, Frauen mit Kindern und – wegen der Sprachschwierigkeiten – AusländerInnen werden dadurch benachteiligt. Studierende protestieren gegen diese unsoziale Deform. Sie führen Aktionen zivilen Ungehorsams durch, koordinieren sich zum ersten Mal seit 1989 bundesweit. Und die taz fragt: „Warum mitreden bei der Studienreform?“
Seltsam genug: Studierende sollen begründen, warum sie an der aktuellen Studienreform mitwirken wollen! Eigentlich sollte demokratische Mitsprache in einem demokratischen Staat eher eine Selbstverständlichkeit sein. PolitikerInnen sollten begründen müssen, warum sie die Studienreform völlig ohne jede Beteiligung der Betroffenen durchziehen wollen. Doch nicht sie, sondern Studierende werden unter Begründungszwang gestellt.
Warum sollen Studierende mitreden? Weil sie den Sachverstand dazu haben. Wer kennt die Situation an den Hochschulen besser als Studierende? PolitikerInnen haben meist zu einer Zeit studiert, als es noch nicht einmal halb soviele StudentInnen gab wie heute; ihre Kenntnisse über die aktuelle Situation beziehen sie meist nur aus Statistiken. Studierende dagegen kennen die Probleme der heutigen Hochschulen aus eigener, aus leidvoller Erfahrung. Daß ihr Sachverstand bei den Reformen in keiner Weise genutzt wird, ist nicht allein eine völlig unökonomische Verschwendung von Ressourcen; es ist vor allem Ausdruck von hierarchischem, von autoritärem Denken.
Immer wieder wird der Ruf nach einer Verbesserung der didaktischen Fähigkeiten von ProfessorInnen laut. Gerade hier wäre studentischer Sachverstand gefragt: Lernende können am besten beurteilen, ob die Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen im akademischen Unterricht gelingt. Doch auch das wird ignoriert. Geplant ist, didaktische Fähigkeiten an Kennziffern zu messen, etwa an der Durchfallquote bei Prüfungen. Daß dabei eher der Schwierigkeitsgrad einer Prüfung als die didaktischen Fähigkeiten der Lehrenden abgefragt wird, will kaum jemand zur Kenntnis nehmen.
Warum sollten Studierende mitreden? Weil sie die Hauptbetroffenen einer Studienreform sind. Die persönliche wie die berufliche Zukunft von Studierenden hängt davon ab, wie sich ihr Studium gestaltet. Es ist nur angemessen, ihnen bei der Gestaltung ihrer Zukunft Mitbestimmung einzuräumen – und nicht nur Mitsprache! Die freie Verfügungsgewalt von Politikern über die Zukunft anderer Menschen muß hier ein Ende haben.
Doch nicht nur über die Zukunft von Studierenden wird mit der Studienreform entschieden – auch über die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse. Wer über das Leben anderer verfügt, ohne diese mitbestimmen zu lassen, der entmündigt, und der sollte sich dann auch nicht wundern, wenn die Betroffenen auf diese Entmündigung einerseits mit politischer Radikalisierung, andererseits mit Resignation und Politikverdrossenheit reagieren.
Gesellschaftliche Verantwortung aber will erlernt sein. Die Mitbestimmung von Studierenden bei der Reform von Hochschulen und Studiengängen böte die Chance, Verantwortung und Entscheidungsfindung mitzutragen. Wird Studierenden das weiterhin verwehrt, geht es weiter wie bisher: Nicht verantwortliches Mitentscheiden lernen Studentinnen und Studenten, es besteht die Gefahr, daß sie resignierten Gehorsam verinnerlichen.
Statt nun also eine vernünftige Reform des Hochschulsystems anzugehen, wird reglementiert und deformiert. Die letzten Reste von Eigenverantwortung und Freiheit in Lehre und Lernen werden ausgetrieben: Regelstudienzeiten sind bereits eingeführt, Strafgebühren werden angedroht, Studienordnungen „entschlackt“, ausgerechnet von denen, die sie „verschlackt“ haben – wenn das mal was wird! Die Hochschulen sollen ihr Geld effektiver einsetzen, und Bafög wird eingefroren. Nicht einmal das drängendste Problem, die ungenügende personelle und finanzielle Ausstattung der Hochschulen, wird bei der blinden Deform angepackt. Abhilfe in haushaltsmäßig besseren Zeiten wird aber noch nicht einmal in Aussicht gestellt. Die Krise wird zum Normalzustand erklärt.
Was wir brauchen, ist Problemlösungs-Kompentenz; was wir bekommen, sind Paukschulen auf höherem Niveau. Fast alle fordern Interdisziplinarität. Statt dessen gibt es immer neue Disziplinen. Wir wollen Mitsprache und werden weiter entmündigt. Wir fordern ein Studium, das Kritikfähigkeit fördert – werden selbst aber nicht einmal angehört. Wir verlangen, über die Aufgaben der Universität in der Zukunft nachzudenken. Gegeben werden uns „individuelle Curricularnormrichtwerte“.
Rede mit, wer nicht verzweifelt!
Die Autoren studieren in Marburg und Tübingen.
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