: Kekse aus Teilzeit
Wenige Unternehmen bieten qualifizierte Teilzeitjobs / Rationalisierung vor Neueinstellung ■ Von Barbara Dribbusch
Die Idee klingt bestechend und wird jetzt auch von Bundeskanzler Kohl weitergetragen: Wenn mehr Beschäftigte nur noch Teilzeit arbeiten würden, ließen sich Millionen neuer Jobs schaffen. In Wirklichkeit aber ist das, was jetzt auch die CDU begeistert propagiert, sehr heikel.
Die Hochrechnung ist allzu simpel: Laut Umfragen hätten neun Prozent der Vollzeitbeschäftigten lieber einen Teilzeitjob, bilanziert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Rechnet man die gewünschten Arbeitszeitverkürzungen einfach in Neueinstellungen um, ergibt sich ein zusätzliches Beschäftigungspotential von 2,6 Millionen Personen.
Eine Hochrechnung des Mannheimer Zuma-Forschungsinstituts ergab einen Zusatzbedarf in Westdeutschland von 184.000 Erwerbstätigen bei den Männern und 1,35 Millionen bei den Frauen, wenn man allen Befragten ihre Wunscharbeitszeiten genehmigte. Aber da müßten die Betriebe mitziehen. Viele Unternehmen jedoch scheuen die Aufteilung von qualifizierten Vollzeitarbeitsplätzen, weil sie zusätzliche Kosten befürchten.
Bisher lagen die Vorteile der Teilzeit aus Sicht der Unternehmer vor allem „bei Tätigkeiten mit geringen Qualifikations- und Kommunikationsanforderungen auf den unteren Rängen der betrieblichen Hierarchie“, stellten Gerhard Bäcker und Brigitte Stolz-Willig, Referenten am DGB-Forschungsinstitut WSI, fest. Mehr als die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten schubbert als Putzfrau, Verkäuferin oder Tippse. Auch im hochgelobten Teilzeitland Holland sind es vor allem „schlecht bezahlte Nebentätigkeiten für Frauen“, bemängelt die niederländische Industriegewerkschaft FNV.
Nur wenige Unternehmen bieten bessere Teilzeitjobs an. Die Keksfabrik Bahlsen ersann Modelle auch für mittlere Führungskräfte, um gut ausgebildete Frauen zu halten. Auch beim Pharmahersteller Schering dürfen Beschäftigte auf allen Ebenen schon seit zehn Jahren verminderte Arbeitszeiten wählen. Neue Jobs sollen aber dadurch nicht herbeigezaubert werden. Im Gegenteil: Wer Teilzeit einführt, hofft auf den Produktivitätseffekt. Teilzeitkräfte schaffen mehr in kürzerer Zeit, sind seltener krank und lassen sich besser saisongerecht einsetzen, lobt die Beratungsfirma McKinsey. Was an Arbeitsstunden eingespart wird, muß keineswegs immer durch Neueinstellungen ausgeglichen werden.
Männer scheuen ohnehin den Umstieg auf weniger Stunden und damit weniger Geld. Bei Schering beträgt ihr Anteil an den Teilzeitbeschäftigten gerade mal zehn Prozent. In Zeiten der Rezession sinkt zudem die Teilzeitquote, noch schwieriger wird es in wirtschaftsschwachen Regionen.
Freiwilligkeit müsse oberstes Gebot sein, fordern die Gewerkschaften. Der DGB möchte das Recht auf Teilzeit als auch die Rückkehr zum Full-time-Job gesetzlich und tariflich verankert wissen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnte erwartungsgemäß ab. Erst die Not macht erfinderisch. Als bei VW Entlassungen drohten, einigten sich Geschäftsführung und Belegschaft auf die Viertagewoche. Bei Siemens werden Hochschulabgänger jetzt in Teilzeit eingestellt, um neuen Kräften überhaupt eine Chance zu bieten.
Wo Unternehmen und Gewerkschaften ihre Besitzstände hüten, bleiben Arbeitslose außen vor. Neueinstellungen durch mehr Teilzeit sind gerade in schlechten Zeiten nicht zu erwarten. Staatliche Hilfe wird daran kaum etwas ändern. Ein neuer Passus im Beschäftigungsförderungsgesetz garantiert Arbeitnehmern, die auf Teilzeit wechseln, jetzt für drei Jahre ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld auf der Basis der vorherigen Vollzeiterwerbstätigkeit. Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) würde gerne zusätzlich eine Prämie von 3.000 Mark für die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen ausloben. Keine neue Idee. Denn einige Bundesländer, zum Beispiel Rheinland-Pfalz, förderten schon in den Jahren 1979 bis 1981 Teilzeitjobs durch Prämien. Die Folge: Die Betriebe richteten vor allem niedriger qualifizierte Stellen ein – und kassierten.
Der Staat könnte in Sachen Teilzeit auf andere Weise mit gutem Beispiel vorangehen: durch Arbeitsumverteilung im öffentlichen Dienst. Hier wagen sich bislang aber nur wenige Politiker vor. Um den Rausschmiß von Tausenden von Lehrern zu vermeiden, setzte die ehemalige Bildungsministerin in Brandenburg, Marianne Birthler (Bündnis 90/Grüne), die Lehrerschaft auf achtzigprozentige Teilzeit bei entsprechendem Verzicht auf eine anstehende Gehaltserhöhung.
Die Gewerkschaften murrten über die „Zumutbarkeit“ dieser „Verordnung“. „Die Frage der Freiwilligkeit der Arbeitslosigkeit, die zwanzig Prozent der LehrerInnen drohte, und der Zumutbarkeit der entsprechenden Einkommenseinbußen wurde dabei allerdings kaum reflektiert“, kommentiert sarkastisch die Berliner Sozialwissenschaftlerin Ingrid Kurz-Scherf.
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