: Beklemmendes Gefühl
■ betr.: Aufruf des Bürgermeister von Goražde, taz vom 22.4.94
Ich bin unschlüssig, ob ich ein Lob aussprechen soll für die Seite 1. Tatsache ist, daß sie in mir ein beklemmendes Gefühl hinterläßt. Was so weit weg ist, wird so plötzlich gegenwärtig durch die Worte derer, die in Goražde eingeschlossen sind. Menschen, die keine Chance haben zu flüchten. Die Worte machen sich breit in meinem Kopf. Warum hört nicht die Nato auf diese Worte, warum nicht die UNO? [...]
Auch ich verstehe die Welt nicht mehr. Verstehe nicht die Regeln, nach denen gehandelt (oder: nicht gehandelt) wird. Ich erahne schon die bedauernden Worte aus der Politik, wenn die letzten Menschen in Goražde masakriert wurden. Die Frage ist nur, wie das mit dem Gewissen zu vereinbaren ist. Aber solange man sich hinter Paragraphen verschanzen kann und Zahlen von Toten nix als reine Zahlen sind, ist das Gewissen wohl zweitrangig, drittrangig, viertrangig... Ich bin dankbar, daß sich die taz hier von der „üblichen“ Berichterstattung abhebt. Die Zahlen der Toten kriegen so Bedeutung. Denn: Es sind Menschen, die dort Todesängste ausstehen. Anita Reimer, Hamm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen