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Menschen, so weit das Auge reicht

■ Hunderttausende fliehen aus Ruanda / In Tansania entsteht das weltgrößte Flüchtlingslager

Berlin (taz) – Auf einem Stück Savanne im Nordwesten Tansanias drängen sich heute Hunderttausende von Menschen. Es sind Flüchtlinge aus Ruanda. In einer beispiellosen Massenflucht haben sie ihr vom Völkermord zerstörtes Land verlassen, buchstäblich über Nacht. Wie viele es sind, weiß keiner genau. Von 250.000 ist die Rede, auch von 500.000. Die Menschenmenge überzieht jedenfalls ein Gebiet von der Grenze bis zehn Kilometer weit nach Tansania hinein. Eine Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR: Hier entsteht „das größte Flüchtlingslager der Welt“.

Die Flüchtlinge hatten Glück. Normalerweise ist der Kagera-Fluß, der die Grenze zwischen Ruanda und Tansania bildet, gesperrt. Aber am Donnerstag flohen die ruandischen Regierungssoldaten vor dem Vormarsch der Guerillabewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF). Einen Tag lang, vom Donnerstag abend bis zum frühen Samstag, war das Grenzgebiet offen. Am Samstag kamen die Einheiten der RPF und brachten die Brücken unter ihre Kontrolle. Aber 200.000 Menschen, so Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen, warteten noch auf der ruandischen Seite. Maureen Connelly vom UNHCR berichtet, vor einer einzigen Brücke hätten 50.000 Flüchtlinge gestanden: „Wir sahen nur noch Reihen und Reihen von Menschen.“

Was geschieht jetzt mit den Flüchtlingen in Tansania, die Hütten aus Zweigen und Tüchern bauen? Lebensmittel und Wasser gibt es nur wenig. Das UNHCR, das vom „größten und schnellsten Exodus“ in seiner 75jährigen Geschichte spricht, ist besorgt. „Für den Moment kommen wir klar“, sagt UNHCR-Sprecher Panos Moumtzis, „aber nicht mehr für viele Tage.“ Eine andere Sprecherin warnt: „Das Wichtigste ist, die Leute vom Grenzfluß wegzubekommen. Das Wasser ist von verwesten Leichen verseucht.“ Gestern rief das UNHCR zu Spenden für die Flüchtlinge auf (UNO-Flüchtlingshilfe, Postbank Köln, Kto.-Nr. 3030 30-507, Kennwort: Ruanda).

Die Ruander fliehen vor einem Krieg, der nach Angaben von UNO-Generalsekretär Butros Ghali in den letzten vier Wochen 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. Seitdem Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April zusammen mit seinem burundischen Amtskollegen in einem vermutlich von einer Rakete abgeschossenen Flugzeug ums Leben kam, gehen radikale Anhänger des Präsidenten im ganzen Land auf Menschenjagd: Sie suchen Mitglieder der vor 35 Jahren von der Macht vertriebenen Minderheit der Tutsi. Die von exilierten Tutsis geführte Guerillabewegung RPF rückt derweil vom Norden her immer weiter vor. Aus Angst vor ihrer Rache wiederum verstärken die regierungstreuen Milizen ihren Krieg. Am Wochenende schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis die letzten Regierungssoldaten sich aus der Hauptstadt Kigali zurückziehen und die RPF die Macht ergreifen würde. UN-Sprecher Joe Sills warnte, die Milizen könnten bei ihrem Abzug „verzweifelte und schreckliche Dinge“ tun. In der Stadt Cyangugu eröffnete die Armee das Feuer auf eine Menge von 5.000 Ruandern, die aus einem zum Gefängnis umfunktionierten Sportstadion ausbrechen wollten: Mindestens 300 Menschen sollen gestorben sein.

Die RPF dementierte gestern eine UNO-Meldung, sie habe die Grenze blockiert, und rief die Geflohenen zur Rückkehr auf. Aber was tatsächlich jenseits der Grenze passiert, wird nur aus den Leichen ersichtlich, die den Kagera-Fluß heruntertreiben: nach UNO-Angaben 25 pro Stunde. D.J. Seite 8

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