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Suffweltmeister im Drogenkrieg Von Mathias Bröckers

„Mehr Drogentote – aber Kinder dürfen Hasch rauchen“, kreischt das Springer-Blatt B.Z. – der Aufschrei des Entsetzens, den das Karlsruher Cannabis-Urteil ausgelöst hat, kann niemanden überraschen. Über ein halbes Jahrhundert Desinformation über das „Mörderkraut Marihuana“ hat tiefe Spuren im öffentlichen Bewußtsein hinterlassen, der Hochgrad-Humbug von der „Einstiegsdroge“ Haschisch feiert in den Reaktionen auf das Urteil fröhliche Urständ.

Dabei können Prohibitions-Eiferer und Drogen-Krieger mit dem Spruch des Höchsten Gerichts eigentlich zufrieden sein: Die Hanfpflanze bleibt mit Stumpf und Stil verboten, ihr natürliches Harz weiterhin in einer „Giftklasse“ mit Industriedrogen wie Heroin und der Umgang mit Cannabis auch in Zukunft grundsätzlich strafbar. Aber der Konsum darf nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden! Mit diesem Urteilsspruch haben die Richter eigentlich nur nachgeholt, was eine verfehlte Drogenpolitik seit Jahrzehnten versäumt hat. Darüber hinaus aber haben sie ein „Recht auf Rausch“ und eine Reform des Betäubungsmittelgesetzes, wie es das Landgericht Lübeck eingeklagt hatte, abgelehnt. Die Wahl von Rausch- und Genußmitteln ist auch weiterhin nicht durch das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung geschützt: Cannabis-Konsum wird nicht, wie Alkohol und Nikotin, dem persönlichen „Verantwortungsbereich“ des Konsumenten überlassen, sondern bleibt dem gesetzlichen Verbot unterworfen. Das Zeitalter der Prohibition ist mit dem Karlsruher Beschluß also keineswegs zu Ende, ihm wurde nur ein zivilisatorisches Mindestmaß an Toleranz verordnet. Daß schon dies zu einem hysterischen Aufjaulen führt, zeigt, daß illegale Drogen die größte Verwirrung in den Köpfen von denen anrichten, die sie nicht nehmen.

Bei einer liberalisierenden Verwaltungsvorschrift in Sachen Hanf kann es nicht bleiben – was nach wie vor auf der Tagesordnung steht, ist die gesamte, durch und durch gescheiterte Praxis des Kriegs gegen Drogen. Die rigorose Unterscheidung von Gut und Böse nicht zu hinterfragen ist das Dogma jedes Fundamentalismus. Wer im heutigen Drogenkrieg nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Drogen unterscheidet, macht sich fast so unmöglich wie jemand, der vor 50 Jahren in Deutschland die Rassengesetze anzweifelte: Er stellt den Sündenbock in Frage, an dem die Gesellschaft ihre rituelle Reinigung vollzieht. „Rauschgift“ ist im ausgehenden 20. Jahrhundert die Ikone des Bösen schlechthin, und die „Süchtigen“ und „Dealer“ sind seine Inkarnationen. Wir füllen unsere Gefängnisse mit ihnen, wir jagen sie mit allen Mitteln. Mit diesem blutigen Ausstoßungsritual entledigen sich die modernen Gesellschaften ihrer „Erbsünde“, der Tatsache, daß sie, durch und durch drogenverseucht, ohne Alkohol, Pillen und Drogen sofort zusammenbrechen würden. Seit die Ossis die Quote versaut haben, ist die BRD Weltmeister im Alkoholverbrauch, ohne Koffein läuft kein Büro, und nach drei Tagen ohne Bier herrscht in Bayern Bürgerkrieg!

Diese Macht der Drogen gilt es endlich anzuerkennen, statt zwischen Bier- und Schnapsreklame mit den PR-Millionen des Drogenbeauftragten das Gegenteil zu beschwören. Erst wenn wir ja sagen zu allen Drogen, werden wir sie los. Keine Macht den Doofen!

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