piwik no script img

Deutsche Patrioten unter sich

■ Die CDU-Politiker Friedbert Pflüger und Uwe Lehmann-Brauns diskutierten über die Nation / Der Ex-Sprecher des Bundespräsidenten fühlt sich mißverstanden

Wann immer der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger in diesen Wochen zu Talk- Shows eingeladen wird, gilt er als einer, der dem Zeitgeist trotzt. Wo Linke und Rechte ihre Liebe zu Deutschland entdecken, warnt er vor einem neuen Nationalismus, macht national-völkische Tendenzen in der eigenen Partei aus. Daß jemand wie Pflüger zum Oppositionellen im Maßanzug gemacht wird, muß ein Mißverständnis sein. Die Gräben, die ihn von jenen trennen, die unverblümt auf das Nationale setzen, sind so tief nicht. Am Montag abend diskutierte der Bonner mit dem Berliner CDU- Abgeordneten Uwe Lehmann- Brauns zum Thema „Was ist uns die Nation noch wert“.

Pflüger, einst Sprecher Richard von Weizsäckers, beherrscht die Schule der aristokratischen Rhetorik, die im Bundespräsidialamt so gerne gepflegt wird. Pflüger will nicht provozieren, sondern zusammenführen. Natürlich, beruhigt er die rund sechzig Zuhörer im Abgeordnetenhaus, sei Deutschland eine Nation: „Wer das leugnet, stellt sich im Grunde außerhalb jeglicher politischen Diskussion.“ Pflüger beschwört die Grundpfeiler der Bonner Republik: das Grundgesetz, die Orientierung auf einen europäischen Bundesstaat, die Westbindung. Er warnt vor dem Wiederaufleben einer „deutschen Option in der Mitte des Kontinents“, die atlantische Aufgaben vernachlässigt. Sein Kontrahent Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und Anwalt von Wolf Biermann, will die Nation „demokratisch vereinnahmen“. Man dürfe sie nicht den „Hohl- und Kahlköpfen“ überlassen. Pflügers Eintreten für westlich-liberale Werte wirkt überzeugend. Doch wozu der Begriff der Nation bei ihm gut sein soll, bleibt nebulös. Wenn Lehmann-Brauns die Nation als „Ansporn und Legitimation zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands und Europas“ beschreibt, setzt Pflüger sein Modell von der „Nation plus Verfassungspatriotismus“ dagegen. Das wirkt wie ein parteipolitischer Spagat, der alles unter eine Haube bringen will und nichts mehr aussagt.

Es geht an diesem Abend um unterschiedliche Gewichtungen, nicht um die Frage, ob die Deutschen lieber die Finger von jeglichem nationalem Pathos lassen sollten. Einem Nationsbegriff, der die Waage halten könne zwischen „Verteufelung und Heroisierung“, würde er sich sofort anschließen, beteuert Pflüger. Der 39jährige, der sich im Bundestag bei der Hauptstadtdebatte für Bonn entschied und gegen die Wiederherstellung des Eisernen Kreuzes auf dem Brandenburger Tor war, tut sich schwer. Bleibt höflich und zurückhaltend, wo man sich von ihm eine Provokation wünschen würde. Da sind die notorischen Berufsberliner, die hinter seinem vorsichtigen Verweis auf westdeutsche Ängste gegenüber dem einstigen Zentrum Preußens sogleich eine neue Bonner Unverschämtheit vermuten. Andere, wie jener Mann aus Leipzig, beschwören eine „gesunde Demokratie mit einem gesunden Nationalbewußtsein“, um schließlich im Duktus der Nationalsozialisten zu enden: „Aus meinem Deutschsein erwächst Verantwortung für die Volksgemeinschaft, in die man hineingeboren wurde.“

Pflüger fühlt sich mißverstanden in seiner Rolle als konservativ- gemäßigtes Enfant terrible, das die Medien aus ihm gemacht haben, rechtfertigt sich. Für die Wiedervereinigung sei er stets gewesen, sei Anfang der 80er Jahre als Mitarbeiter des damaligen Westberliner Regierenden Bürgermeisters Weizsäcker häufig in der DDR gewesen. 1988 habe er sich in der FAZ mit der Formulierung von „Mitteleuropa als geistig-kulturellem Begriff“ viel Kritik von jener Seite eingehandelt, die nun auf die Nation setze. Verkehrte Welten, die ihn schmerzen. Offen und fair solle man über die Nation sprechen können, ohne gleich in die „antipatriotische Ecke“ gestellt zu werden. In seinem Diskussionsstil gleicht Pflüger einem Boxer, der einen Schritt zurückweicht, um im nächsten Moment wieder auf die Ausgangsposition zurückzukehren. Niemandem will er zu nahe treten, niemandem wehtun. Wenn der Historiker Ernst Nolte in seinem neuesten Buch ein ganzes Kapitel den Revisionisten widme, spricht er von „Grenzen“, die zu verwischen drohten. Am Ende des Abends wiederholt Pflüger, was als Leitfaden seines Rebellentums dienen könnte: „Diejenigen, die sich mit der Nation schwer tun, haben möglicherweise eine viel stärkere Bindung an sie als andere.“ Da kann auch Lehmann-Brauns nur zustimmend nicken. Wem die Nation wichtig sei, müsse sich auch zu den „düsteren Seiten bekennen“. Severin Weiland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen