■ Die Friedensverhandlungen in Nahost und die Journaille: Totschreiber, Ochsenfrösche!
Wenn heute Jassir Arafat und Jitzhak Rabin das Gaza-Jericho-Zuerst-Abkommen in Kairo unterzeichnen, dann werden nicht nur die islamischen Fundamentalisten und die jüdischen Fanatiker frustriert sein, auch ein relevanter Teil der Journaille wird das Geschehen mit einem tiefen Gefühl der Enttäuschung verfolgen. Wer seit der Aufnahme der Friedensverhandlungen in Madrid die Berichte und die Kommentare gelesen hat, mußte sich immer wieder wundern, wie viel Mühe sich die Journalisten gaben, den Friedensprozeß totzuschreiben. Kaum wurden prozedurale oder inhaltliche Schwierigkeiten gemeldet, hieß es sofort: Damit dürfte der Friedensprozeß am Ende sein, die Hindernisse wären unüberwindlich, die Israelis und die Palästinenser würden sich immer weiter auseinanderreden. Kommentatoren, die sich sonst die Federn wundschreiben über die Notwendigkeit von Visionen und Utopien in der Welt, verwandelten sich plötzlich in knallharte Realos.
Je weiter die Nahostverhandlungen fortschritten, um so skeptischer wurden die begleitenden Beiträge. Kein Ereignis der Weltpolitik ist von den deutschen Medien dermaßen nachlässig und beiläufig behandelt worden wie die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens in Washington am 13. September 1993. Dafür wurde jedes Blutbad fast live übertragen. Nach dem Massaker von Hebron und nach den Anschlägen von Hadera und Afula verbreitete man dann die frohe Kunde, damit wäre der Friedensprozeß wohl endgültig gestorben. Baruch Goldstein, der irre Arzt aus Hebron, und die palästinensischen Kamikaze-Bomber wurden zu Kronzeugen dafür, daß Israelis wie Palästinenser für den Frieden nicht reif seien. Die Journaille legte allergrößten Wert auf die Fortsetzung des Kampfes um das Heilige Land, und wenn dieser Kampf schon beendet werden sollte, dann wenigstens so wie eine Begegnung zwischen Wyatt Earp und Billy the Kid. Ein schönes Beispiel für diese Haltung lieferte vor kurzem der Korrespondent der liberalen Züricher Weltwoche. „Ist der Traum von Frieden ausgeträumt?“ fragte er noch am 28.4. und beantwortete die rhetorische Frage mit einem heftigen: Ja! Indem die Israelis „die Grenzen zu den besetzten Gebieten dichtmachten“, würden sie auch zeigen, wie sie sich den Frieden vorstellen: „Sie streben keine Zusammenarbeit mit den Nachbarn an. Sie wollen von ihren Nachbarn in Ruhe gelassen werden.“ Solange die Israelis die Palästinenser als billige Arbeitskräfte benutzten, waren sie Ausbeuter. Wenn sie nun die alten Grenzen wiederherstellen, sind sie miese Nachbarn. Die Folgen sind klar: „Abschotten und Abkapseln. Mit dieser Mentalität und mit dieser Politik bleibt Israel im Nahen Osten ein Fremdkörper, der sich nicht integrieren wird. Mit dieser Einstellung, so sie nicht geändert wird, dürfte der Traum von Frieden ausgeträumt sein.“
Die Frage, warum über den Friedensprozeß so geschrieben wurde, wie über ihn geschrieben wurde, wird sicher sehr bald Gegenstand von Doktorarbeiten sein. Ob es reines Wunschdenken war oder eine unerfüllte Katastrophensehnsucht, muß vorerst ungeklärt bleiben. Fest steht, daß sich die notorischen Besserwisser diesmal noch gründlicher blamiert haben. Bald wird die palästinensische Flagge über Gaza und Jericho wehen, und in ein paar Jahren wird es einen palästinensischen Staat zwischen Israel und Jordanien geben. Der Kampf um Palästina ist noch nicht vorbei, doch der Anfang vom Ende ist in Sicht. Wer sich darüber nicht freuen kann, gehört in die Familie der emotionslosen Ochsenfrösche. Und was den weiteren Verlauf des Friedensprozesses angeht, bleibt ein altes arabisches Sprichwort in Kraft: Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter. Henryk M. Broder, Jerusalem
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