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Dein Gen gehört mir

Das Europarlament stimmt heute über eine neue „Richtline zum Schutz bilogischer Erfindungen“ ab / Ein Freibrief für die gentechnische Industrie  ■ Von Wolfgang Löhr

Berlin (taz) – Die Zukunftfrage der Gentech-Industrie steht heute auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments. Fast sechs Jahre wurde die „Richtlinie zum Schutz biologischer Erfindungen“ zwischen Kommission, Parlament und Ministerat hin- und hergeschoben. Die zentrale Frage: Soll alles, was es unter der Sonne gibt, patentierbar sein?

Wollten die Europaparlamentarier in der Vergangenheit dem Patentrecht noch Grenzen setzen, so sieht jetzt alles nach einem Durchmarsch der Gentech-Industrie aus. „Ein Freibrief für alles Machbare“ wird das Europaparlament bei der heute anstehenden Abstimmung ausstellen, befürchtet die Grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer.

Bereits im April 1992 hatten die EU-ParlamentarierInnen sich für die Richtlinie ausgesprochen, allerdings mit wesentlichen Änderungen: Der Landwirte- und Züchtervorbehalt sollte festgeschrieben werden. Diese Regelung sichert den Bauern traditionellerweise das Recht zu, daß sie ihre Ernte als Saatgut weiterverwenden dürfen. Auch den Züchtern sollte ursprünglich erlaubt werden, geschützte Sorten unentgeltlich zur Weiterzucht zu verwenden. Vor allem aber stand als moralischer Grundsatz fest: Der Mensch als Ganzes und Teile seines Körpers sollten von der Patentierbarkeit ausgeschlossen bleiben.

Dies steht nun alles jetzt zur Disposition. Ausschlaggebend war eine Kehrtwendung des federführenden Rechtsausschusses. Seine Empfehlungen, fürchtet die Abgeordnete Breyer, würden eine weitere Verwässerung und Verschlechterung der Patentrichtlinie nach sich ziehen. Mit tatkräftiger Unterstützung des deutschen SPD-Europaparlamentariers Willi Rothley hatte sich vergangene Woche eine Mehrheit im Ausschuß gefunden, die sich zugunsten einer weitgehenden Patentierbarkeit von Lebewesen aussprach. So sollen zwar isolierte Teile des menschlichen Körpers künftig nicht unter das Patentrecht fallen, wenn sie aber Gegenstand eines Verfahren oder eines Produktes sind, soll durchaus ein Patent darauf möglich sein. Prinzipiell patentierbar sein sollen auch therapeutische Verfahren zur Änderung der genetischen Identität.

Diese Empfehlung des Rechtsausschusses bezieht sich auch auf die Manipulation der menschlichen Keimbahn. Befürchtet wird nun, daß eine Mehrheit von Sozialdemokraten und Konservativen die Änderungsvorschläge der Rechtsausschusses billigt. Eine Gruppe von SPD-Bundestagsabgeordneten, die sich unter anderem dafür aussprechen, daß die Bausteine des Lebens „ein Gut der Allgemeinheit bleiben“, hatte sich daher im Vorfeld schon an ihre deutschen Parteigenossen in Brüssel gewandt, mit der Bitte, der Richtlinie nicht zuzustimmen. Die heutige Abstimmung wird zeigen, ob dieser Bitte entsprochen wird. Hiltrud Breyer hat da ihre Zweifel: Sie hat mitbekommen, daß Kritiker aus den Reihen der Europafraktion der SPD aufgefordert wurden, nicht offen gegen die Rotley-Vorschläge zu stimmen. Sie sollen dann lieber der Abstimmung fernbleiben.

Kritik gegen die Patentrichtlinie gab es in den vergangenen Jahren von zahlreichen Verbänden und Gruppierungen. Tierschützer, Umweltschützer, kirchliche Gremien und selbst der Deutsche Bauernverband hatten sich gegen die vorliegende Richtlinie ausgesprochen. Die Koordinationsstelle „Kein Patent auf Leben“ wird heute den Europaparlamentarieren über 100.000 Unterschriften gegen die Patentierung von Lebewesen übergeben. Von der Bundesärztekammer kam die Warnung, daß die Patentrichtlinie „Gefahren für das genetische Erbe der Menschheit“ birgt, wenn nicht sichergestellt ist, „daß eine Patentierung des menschlichen Genoms in Teilen und im Ganzen ausgeschlossen ist“. Weiter heißt es: Die bereits vergebenen oder beantragten Patente von menschlichen Genen „gefährden die Freiheit der Forschung und behindern den medizinischen Fortschritt“.

Von der Gentech-Lobby wird dies ganz anders gesehen. Die EU- Kommission, zu der die Industrie- Lobbyisten einen besonders guten Zugang haben, hatte die Gentechnik in einem Weißbuch als eine der Schlüsseltechnologien für die ökonomische Entwicklung der Gemeinschaft definiert. Weltweit seien 1990 3.350 Gentechnik-Patente angemeldet worden, Europa habe allerdings seine führende Rolle, die es Anfang der achtziger Jahre eingenommen hatte, verloren. Beim Europäischen Patentamt habe sich die Zahl der entsprechenden Patentanmeldungen von 1980 bis 1991 verzehnfacht, der europäische Markt habe Anfang der neunziger Jahre bei reichlich 3 Milliarden Dollar gelegen.

Immerhin wurden im vergangenen Jahr 335 neue Gentechnik-Patente beim Europäischen Patenamt angemeldet. „Es gibt nur wenig Zahlenmaterial“, räumt auch Daniel Rahier von der Senior Advisory Group on Biotechnology (SAGB) ein. Die SAGB, eine Brüsseler Lobbyorganisation der in der Gentechnik engagierten Konzerne, hat gerade erst ein neue Studie in Auftrag gegeben, die die wirtschaftliche Bedeutung der Gentechnik in Europa belegen soll. „Die Zahlen, die wir heute haben, sind alle von Anfang der neunziger Jahre.“ Für 1990 schätzte die SAGB den Weltmarkt für Gentechnik auf 10,2 Milliarden Dollar.

International spielten damals vor allem genetisch produzierte Insuline und Interferone eine Rolle. So machte der US-Konzern Eli Lilly mit dem Gentech-Insulin Humulin 1991 einen Umsatz von 435 Millionen Dollar, die dänische Firma Novo Nordisk kam auf 420 Millionen Dollar mit ihrem Insulin Novolin. In Deutschland gibt es heute etwa 20 Insuline, die mit gentechnischen Methoden hergestellt werden. Und der Schweizer Pharmagigant Roche erzielte mit einem eigenen Präparat und zwei Substanzen seiner US-Tochter Genetech insgesamt reichlich 580 Millionen Dollar Umsatz. Alle diese Marktanteile konnten die Pharmmafirmen sich nur sichern, weil durch das Patentrecht die Konkurenten benachteiligt wurden. Dabei wird es wohl bleiben, wenn am Mittwoch die Abstimmungsergebnisse im Europaparlament verkündet werden.

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