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„Eine publizistische Mauer“

■ Ludger Volmer, Vorstandssprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, über die Sozialdemokraten und das fehlende Reformklima

taz: Sind sie schon einmal mit Herrn Scharping Auto gefahren?

Ludger Volmer: Nein, bin ich noch nicht. Ich würde aber mit Herrn Scharping reden, auch wenn das im Auto stattfinden müßte.

Tempo 100 auf jeder Achse?

Bei der Geschwindigkeitsbegrenzung haben wir eine völlig unterschiedliche Auffassung.

Mein Eindruck ist, daß Scharping auch sonst nicht gerade die Vorstellung eines rot-grünen Reformprojekts entwickelt.

Wir stehen zu unserem Angebot einer rot-grünen Reformkoalition. Wir stehen für die Reformen ein. Das heißt ökologische Steuerreform, Ausstieg aus der Atomenergie binnen zwei Jahren und die doppelte Staatsbürgerschaft. Scharping hingegen setzt auf veraltete Modelle der siebziger Jahre.

Es fehlt also der Wille der SPD zur Reformkoalition. Wo soll dann die Reformperspektive im Herbst plötzlich herkommen?

Die SPD profiliert sich im Moment nach rechts und versucht die CDU im nationalkonservativen Ghetto einzumauern. Wir müssen als Bündnis 90/ Grüne zur Kenntnis nehmen, daß es die notwendigen 50 Prozent für eine Reformpolitik nur gibt, wenn Scharping die Stimmen in der Mitte einsammelt. Gleichzeitig werden dadurch die Koalitionsverhandlungen nachher aber extrem schwer.

Auch wenn es im Herbst rechnerisch reicht, zaubert das keine Reformpolitik herbei. Wo soll der Druck für Reformen herkommen? Selbst bei den Themen Ökosteuer oder Staatsbürgerschaft ist Ihre Partei seit Wochen nicht zu hören.

Das ist mit einer kleinen Gruppe im Bundestag eben schwer.

Und außerhalb des Bundestages ist die Partei eben nur mit sich und ihrer Kandidatenkür beschäftigt.

Den Eindruck habe ich überhaupt nicht. Die Kandidatenkür ist Pflichtprogramm. Außerdem haben wir einen großen gut besuchten Kongreß zum Thema Ökologie und Wirtschaft in Bonn gemacht.

Und davon gingen Impulse aus?

Die taz hat nichts geschrieben. Andere Journalisten haben mir gesagt, sie hätten etwas geschrieben, nur ihre Chefs hätten entschieden, nichts Grünes mehr in diesem Jahr.

Sie meinen, es gibt eine publizistische Mauer gegen ihre Partei?

Es gibt eine publizistische Mauer, auch wenn viele Journalisten fair schreiben.

An der scheitert dann die Reformperspektive?

Das Entscheidende ist letztlich, wohin sich die Gesellschaft bewegt. Wenn das Reformen sind, können wir das als Partei zu verstärken suchen. Wir sind derzeit eben nur in der Minderheit, auch wenn die Umfrageergebnisse für uns positiv sind. Interview: H.-J. Tenhagen

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