: Weibliche Kraft des Blutens
■ „Institut für Menstruologie“ untersucht zyklisch angepaßte Arbeitswelten u.a. nstruationshygiene
Rund 2.300 Tage ihres Lebens blutet eine Frau – für viele bedeutet das sechs Jahre mit Schmerzen, einem schlechten Gefühl, sechs Jahre Beeinträchtigung ihres Lebens. Tina Agiorgiti-Jordan, Gründerin des Instituts für Menstruologie „Selene“, sieht das ganz anders: „Die Menstruation ist Teil eines Frauenlebens – und sie gehört zu den weiblichen Kräften, aus denen wir schöpfen können“. In einem Bauernhaus in Worpswede versucht die in Kanada aufgewachsene Griechin, nach mehreren Jahren in England und Frankreich in Norddeutschland gelandet, altes Wissen über den weiblichen Zyklus wieder auszugraben und Frauen mit der ganzheitlichen Wissenschaft der Menstruologie zu helfen, positiv mit dem „Übel „ umzugehen.
So wie menstruierende Frauen in vielen archaischen Kulturen tabu waren und sind – heißt: nicht sexuell angerührt werden dürfen –, so wird das Tabu, über Menstruation zu reden, hierzulande bei vielen nicht weniger streng eingehalten. „Für die meisten Frauen ist doch nichts peinlicher, als daß während ihrer Menstruation ein Blutfleck auf ihrer Kleidung zu sehen ist.“ Auf den Kissen des Worpsweder Parketts, bei Kräutertees und Öllampenduft, kommt es dagegen zur Sprache: Warum eine Frau überhaupt nicht menstruiert, welche Ursachen diese ständigen Schmerzen haben könnten, wie jede Frau selbst die Regelmäßigkeit ihres Zyklus beeinflussen kann.
„Die Gebärmutter ist für die Frau der Angst-Platz, aber auch ein Spiegel der Gesundheit“, sagt Tina Agiorgiti-Jordan. Was für Männer die Kastrationsangst, sei für Frauen die Angst vor der Verletzung der ungeschützten Öffnung, die ihre Sexualorgane nun mal darstellen. Also: Mensschmerzen = Schwierigkeiten mit dem Akzeptieren der eigenen Sexualität? „Möglich, aber es gibt auch noch andere Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen können – die Verbindung zu unserer Mutter, mit uns selbst, mit der Gesellschaft...“ Im Fernsehen wird auf Teufel komm' raus für Binden und Tampons geworben – während blaue „Ersatzflüssigkeit“ ins blendendweiße Flies träufelt, wird uns die Philosophie verkauft: Wir machen auch Ihre Tage clean und so normal wie jeden anderen. „Vom herrschenden Gesellschaftsbild der schmutzigen Gebärmutter muß sich eine Frau erstmal lösen“, sagt die Menstruologin, und: „Menstruationstage sind eben nicht wie andere Tage.“ Wichtig sei es vor allem, zur Ruhe zu kommen – und das „muß nicht Schwäche bedeuten“. Rein medizinisch zeigt die Menstruation, daß der Körper bereit gewesen wäre, ein Kind auszutragen. „Wir haben aber bei jeder Menstruation auch die Möglichkeit, ein geistiges Kind zu gebären“, so Tina Agiorgiti-Jordan: „Wir können jeden Monat Rückschau halten: wo stand ich letzten Monat? Das kann ein Gefühl sein, wie wenn man an seine alte Schule zurückkehrt.“ Und zur seelischen komme noch eine körperliche Kraft hinzu: Am Tag vor der Menstruation wurde zum Beispiel bei Künstlerinnen eine ungeahnte Kreativität festgestellt. Und nimmt frau sich Zeit, am „kritische Tag“ in sich zu gehen und sich Ruhe zu gönnen, „dann arbeitet sie am nächsten Tag wie 10 Männer.“
Menstruologie und Arbeitswelt ist eines der Gebiete, auf denen Tina Agiorgiti-Jordan bisher intensiv gearbeitet hat. „Die männliche Psychologie beherrscht die Arbeitswelt“, sagt sie, „und die Leistungsanforderungen sind der Ausschüttung des männlichen Hormons Testosteron angepaßt – dessen Spiegel ist jeden Tag gleich.“ Die weiblichen Hormone schwanken hingegen erheblich. Heute fangen die Blutungen an, und damit die Schmerzen, heute sind aber auch sechs Termine im Büro – der Griff zum Schmerzmittel folgt schnell. „Vielleicht braucht die Frau nur einen Kamillentee, eine Yoga- oder eine Atemübung und eine Stunde Ruhe?“ In großen US-Firmen wurde in Untersuchungen festgestellt, daß Frauen in den Tagen um ihre Menstruation herum nur 70 Prozent ihrer sonstigen Leistung erbringen – sie dürfen dann später zur Arbeit kommen und ein andermal nacharbeiten.
Was passiert, wenn eine menstruierende Frau mit einem Yoghurt in Kontakt kommt? Wie kommt es, daß sich bei Frauen, die zusammenleben, der Zyklus oft angleicht – in israelischen Kasernen bluten manchmal 1.000 Frauen zur gleichen Zeit? Welche Auswirkungen haben die Energien menstruierender Frauen auf hochsensible Computer – in manchen High-Tech-Bereichen von Firmen haben menstruierende Frauen keinen Zutritt? Welche Bedeutung haben Wechseljahre und Menopause? Das sind Fragen, die Tina Agiorgiti-Jordan an ihrem „Institut für Menstruologie“ erforscht. Sie gibt Seminare für Mütter, um Initiationsrituale anzuregen. Sie stellt alternative Menstruationshygiene, Naturschwämme und Seidenbinden, vor. Sie lehrt Männer, wie die Frauen unterstützen können. Und lehrt Frauen vor allem, sich mit dieser fremden Kraft,anzufreunden: wie gesagt, sie bleibt insgesamt sechs Jahre. Susanne Kaiser
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