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Anfangsschwierigkeiten

■ betr.: „Zoff bei ,mob‘“, taz vom 27.4.94

[...] Schade, daß die taz, anstatt sich solidarisch mit dem gesamten Projekt zu erklären, lediglich einen sensationsgierigen Verriß des in einer schwierigen Entwicklungsphase stehenden Projektes liefert. Denn gerade in Zeiten zunehmender Verarmung durch Arbeitslosigkeit, mit den sich immer mehr zuspitzenden Folgen von Krankheit, Obdachlosigkeit und Entsolidarisierung unter den Entrechteten, ist es um so wichtiger, eine Zeitung wie die mobmob soweit auszubauen, daß die Betroffenen gegen diese Bedingungen und ihre Ursachen kämpfen können und eine Solidarisierung in der Bevölkerung erreichen. [...]

Sicherlich ist es noch nicht gelungen, die VerkäuferInnen optimal in den Redaktionsbetrieb und in das Projekt mit einzubeziehen. Dazu gehört ganz bestimmt mehr als offene Redaktionskonferenzen und Mitgliederversammlungen, zu denen übrigens auch die VerkäuferInnen eingeladen waren. Es ist äußerst schwierig für die Redaktion, sich einerseits ihren journalistischen Aufgaben zu widmen, den Vertrieb zu organisieren und sich andererseits den problembeladenen VerkäuferInnen zuzuwenden, ohne den Überblick für das Gesamte zu verlieren und ohne sich durch die Obdachlosen völlig vereinnahmen zu lassen.

Vor allem geht es noch lange nicht darum, was mit dem Geld passiert – die Zeitung trägt sich noch nicht selbst. Die Geldfrage ist eine äußerst sensible Angelegenheit. So zum Beispiel wird mit der Betreuung von Obdachlosen von kommerziellen Anbietern sehr viel Geld verdient, und in Frankreich sind bereits kommerzielle Anbieter von Obdachlosenzeitungen auf dem Markt. BIN e.V. muß das Zeitungsprojekt bislang subventionieren, und die 50.000 Exemplare pro Ausgabe sind bisher bei weitem nicht verkauft worden. Deshalb muß die Anzahl der VerkäuferInnen steigen – auch um eine möglichst flächendeckende Versorgung in Berlin zu erreichen. Die einzelnen VerkäuferInnen unter Druck zu setzen, noch mehr zu verkaufen, wäre dumm und ineffektiv. Dem Zeitungsprojekt geht es ausschließlich darum – neben den politischen und journalistischen Zielen –, den Wohnungslosen eine Chance zu geben, sich mit der Zeitung zu identifizieren, sich für ihre Belange einzusetzen, Selbstbewußtsein und Initiativen zu entwickeln sowie selbstverständlich sich damit Geld zu verdienen. Die Zeitung steckt noch in den Anfangsschwierigkeiten und braucht vor allem Solidarität und Unterstützung – ein öffentlicher Verriß kann sie nur in Gefahr bringen. Regina Thiele, Mitglied bei BIN e.V.

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