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Die unüberwindliche Ente

Die USA, gedopt mit kalter kriegerischer Tradition, gewannen mit 3:1 gegen die favorisierten Russen im Viertelfinale der Eishockey-WM  ■ Aus Mailand Matti Lieske

Ein wenig betreten wirkte er schon, der noch amtierende erste Sturm des russischen Eishockeyverbandes. Nun ja, gab Chefcoach Boris Michailow kleinlaut zu, wenn man sich das Ergebnis so anschaue, habe man die USA wahrscheinlich unterschätzt: „Es war ein Fehler der Trainer.“ Das Ergebnis lautete 1:3, die Russen, 1993 noch stolzer Triumphator im Münchner Endspiel, waren im Viertelfinale der Eishockey-Weltmeisterschaft überraschend ausgeschieden.

Nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlten sich auch Wladimir Petrow, der eigentlich abgesetzte Präsident, der sich krampfhaft an Amt und Pfründe klammert, sowie Sergei Lewin, der windige, noch abgesetztere Manager, Dolmetscher und Spielervermittler. Beide sollen eine Menge Geld aus Spielertransfers in die nordamerikanische NHL unterschlagen haben, ihr mutmaßlich letzter Coup, die erkleckliche Summe Schweizer Fränkli für den Halbfinal-Einzug, wurde ihnen jedoch gründlich vermasselt.

Die Tage der Petrow-Troika sind nach dem debakulösen Viertelfinale gezählter denn je, der Internationale Eishockeyverband hat Valentin Sytsch als neuen Präsidenten anerkannt. Doch Petrow gibt nicht auf. „Das ist ein rein russisches Problem“, wettert er und beruft sich auf nichts Geringeres als die Demokratie: „Der Präsident kann nur von einer legalen Konferenz gewählt werden.“ Wann die stattfindet? Breites Grinsen: „22. Mai 1992“. Jene Konferenz, die ihn inzwischen mit überwältigender Mehrheit absetzte, war natürlich „illegal“.

Boris Michailow hatte vorsorglich erklärt, daß er zurücktreten werde, wenn Sytsch Präsident wird. Eine recht leere Drohung, bei der nächsten WM wird wohl ohnehin wieder der gute alte Viktor Tichonow hinter der Bande stehen, dessen Youngster-Teams selten so uninspiriert wirkten wie die mit NHL-Profis gespickte „Sbornaja“ im Mailänder Viertelfinale.

Die USA waren 1933 zum letzten Mal Weltmeister, sieht man einmal von den Olympiasiegen 1960 und 1980 ab, die gleichzeitig als Weltmeisterschaften zählten. Das liegt daran, daß sie bekanntermaßen nie ihre Besten spielen lassen und daß sie die WM nicht sonderlich ernst nehmen. Der Trip nach Europa ist für die Spieler eine Art Aktivurlaub, bei dem sie endlich mal ordentliches Bier bekommen, das sie nicht gut vertragen, was ihre Leistungskurve spätestens nach der Vorrunde kraß absinken läßt. Gefährlich werden sie nur, wenn es gegen die Russen geht – aus kalter kriegerischer Tradition – und wenn man sie reizt.

Im Viertelfinale von Mailand ging es gegen die Russen, und diese reizten sie auch noch. „Es war eine große Motivation für uns“, erklärte Trainer Ron Wilson, „daß die Russen absichtlich gegen Kanada verloren haben, weil sie lieber gegen uns als gegen die Tschechen spielen wollten.“ Ein schwerer Fehler, obwohl die Voraussetzungen für die USA denkbar schlecht waren. In den letzten Gruppenspielen gegen Schweden und Finnland waren sie derart ermattet, daß sie sogar einen Orientierungslauf gegen ein Team blinder schwedischer Hühner verloren hätten. Dann war für ihren besten Scorer, Bill Lindsay von den Florida Panthers, die WM zu Ende, weil die Dopingkontrolle nach dem Finnlandspiel Ephedrin von einem Multivitaminpräparat erbrachte, und schließlich wurde das kurzfristig aus Chicago eingeflogene Verteidigermonument Chris Chelios, von Italiens Presse flugs zum „Baresi der NHL“ ernannt, postwendend wieder heimgeschickt, nachdem der Teamarzt einen kurzen Blick auf sein Knie geworfen hatte.

Aber es lief erstaunlich gut. Obwohl die Russen mit Wjatscheslaw Koslow von den Detroit Red Wings einen weiteren NHL-Star eingebaut hatten, bissen sie sich immer wieder in der gut organisierten und aufmerksamen Abwehr fest, und wenn sie mal durchkamen, stand dort unerschütterlich Guy Hebert von den Anaheim Mighty Ducks, der alles fing, was zu fangen war. „Der Unterschied war“, sagte später Boris Michailow, daß wir nicht den Torwart der USA hatten. Damit tat er seinem Keeper, Michail Shtalenkow, ebenfalls von den Disney-Enten aus Anaheim, jedoch unrecht, so frei wie die Amerikaner bei ihren Toren kam vor Hebert niemand zum Schuß. Vor allem wenn der Sturm mit Podein (Edmonton), Janney (St. Louis) und Young (Quebec) auf dem Eis war, herrschte oft helle Panik vor dem Russen-Tor. Janney (18.) und Young (24./27.) ließen dreimal die Rolling Stones, Tormusik für die USA, durch die mit etwa 5.000 Zuschauern nur halbgefüllte Halle donnern.

Die bange Frage, welche Musik wohl den russischen Treffern gewidmet war, wurde dagegen erst in der 48. Minute beantwortet. Es waren nicht die Wolgaschiffer, sondern: „I feel good“. Das gute Gefühl von Kowalews Tor blieb jedoch das einzig Erfreuliche für die „Sbornaja“, obwohl der offenbar russenfreundliche Hallen-Discjockey verzweifelt versuchte, mit Liedern wie „Sweet Home Chicago“ oder „Tulsa Time“ kräftezehrendes Heimweh bei den Amerikanern auszulösen.

Am Ende vollführten die Russen sogar ein Powerplay in Unterzahl, aber die USA brachten das 3:1 trotz nachlassender Kräfte über die Zeit. Szenen wie einst beim Olympiasieg 1980 in Lake Placid, als sich die US-Spieler nach ihrem Finalsieg gegen die UdSSR gebärdeten, als hätten sie gerade Afghanistan erobert, blieben jedoch aus. Ein paar Jauchzer, ein paar verschämte Luftsprünge, und die Sache war abgehakt.

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