: He, dich kenn ich doch!
Ich bin o.k., du bist o.k.: Element Of Crime sind immer noch die knuddeligsten Wahl-Kreuzberger wo jibt. Beim Pilsener in der Stammkneipe freuen sie sich sogar glaubhaft auf ihre Tournee. Eine Idylle im Stil der Mittsiebziger ■ Von Andreas Becker
Eine Geschichte über die Band Element Of Crime muß einfach in einer Kreuzberger Kneipe beginnen. Im Lifestyle-Magazin Max mußte sogar extra eine Bank der gerade angesagten „Markthalle“ unter Element-Of-Crime-Sänger Sven Regener zusammenbrechen; und alles nur, damit genügend Punkte auf der Authentizitätsskala erreicht sind.
Element Of Crime selber sehen das erstmal nüchtern. Kreuzberg, da lebt man nun mal, hier auch entstanden ihre letzten Platten, in London oder New York aufzunehmen wie früher, das hat die Band „nicht mehr nötig“ – „unsere Musik ist Abenteuer genug“, findet Sänger Sven Regener. In SO 36 liegt nun mal der Übungskeller, und dort trinken die „Elements“, wie sie selber sich nennen, auch ihr „Bier danach“.
So ganz ohne Lokalkolorit geht aber auch das nicht ab, und zum Teil leistet die Band dem auch Vorschub. Was muß man auch schon im Info zur neuen Platte „An einem Sonntag im April“, als wär's für die Journaille geschrieben, Stammkneipen aufzählen? (Später stellt sich raus, daß das Info auch von einem Journalisten stammt, aber das ist eine andere Geschichte...)
Und so kommt es dann, daß wir uns – schon allein um Max zu überbieten – im „Madonna“ in der Wiener Straße treffen und, natürlich, reichlich Bier fließt – wie bei einer Dorffußballmannschaft nach dem Training. Am nächsten Tag ist man dann verkatert und hat Schwierigkeiten, sich an alles zu erinnern. Und schon hängt man wieder mittendrin in diesem doofen Kreuzberg-Mythos.
Langsam stellt sich die Erinnerung dann wieder ein. Regener hat irgendwann im langen Lauf des Abends behauptet, er begreife sich, trotz seiner zehn Jahre hier, „gar nicht als Berliner“ – aber das sagen sie ja alle. Ja, gerade das Leugnen des Berlinerseins enttarnt den eingewanderten Westdeutschen dummerweise erst recht als Berliner – und vor allem als Kreuzberger. Aus diesem Psychozirkel kommt auch Regener nicht raus, selbst wenn er steif und fest behauptet: „Dieses ganze Berlingeklüngel spielt für unsere Musik überhaupt keine Rolle. Keine Band wird dadurch besser, daß sie sagen kann: Wir kommen aus Berlin. Gleichzeitig bietet Berlin für mich immer noch die besten Möglichkeiten, das zu machen, was ich will. Berlin ist gleichzeitig Dorf und Großstadt, Provinz und Metropole. Deswegen kann man hier relativ ungestört sein Ding machen. Nicht etwa wie in Hamburg, wo sich jeder zum Blumfeld- Dunstkreis zählen möchte.“
Und die anderen Bands in Berlin, um Berlin und um selbiges herum? Sven hält sie für „langweilig“ – obwohl er das soooo direkt auch wieder nicht sagen möchte. Immerhin hat er die Singer/Songwriterin Barbara Gosza produziert. Er hält große Stücke auf Annette Berr, die zweite und – falls das geht – bessere Knef. Wenn er überhaupt über Berliner Musiker spricht, die er „nicht so toll“ findet, dann fügt er sofort hinzu, daß alles doch ganz schön o.k. ist, was andere so machen, daß es bei den Elements nur eben „irgendwie anders“ ist.
Bloß wie? Eigentlich können sie sich nicht beklagen, sagen sie ein wenig im Ton junger „Kreativer“, die den Kontakt zum Kiez nicht verlieren wollen. Weder über die Medien, die sie seit Jahren sehr wohlwollend auf ihrer Seite wissen, noch über die zahlreicher werdenden Freunde ihrer Musik. Und das alles, obwohl sie bei näherem Hinsehen gar nicht nicht so recht in die heutigen Rundfunkformate reinpassen wollen.
Die 93er-Platte „Weißes Papier“ hat 60.000 Stück verkauft, immerhin viermal soviel wie die Vorläufer im Durchschnitt. Anfangs mußten sie noch nebenbei jobben – Sven arbeitete als Tippse –, obwohl sie 1987 einen damals spektakulären Vertrag bei der Hamburger Polydor unterzeichneten. „Seit ein paar Jahren können wir aber von der Musik leben. Die neue Platte verkauft sich auch recht gut, aber man weiß natürlich nie, wie lange“.
„Immer unter Strom“ (Songtitel) stehen die Jungs scheinbar trotzdem nicht. Es klingt doof, wirkt aber wahr: die Elements funktionieren nach dem Leitspruch „Fünf Freunde sollt ihr sein“. Oder sechs? Den seit 1987 (da engineerte er die Elements noch zusammen mit John Cale) für sie tätigen Produzenten Dave Young haben sie inzwischen als Gitarristen zum vollwertigen Bandmitglied erhoben. Er fühlt sich „wie in einer großen Familie, so ähnlich wie es bei Grateful Dead sein muß“. Auch der Akkordeonist Ekki Busch erhielt seine Festanstellung. Harmony, Harmony, Harmony. Und so mit Herz bei der Sache! Sie freuen sich auf ihre Tournee, weil sie die Songs der neuen Platte endlich live auf der Bühne ausprobieren können.
Die Hallen sind ein bißchen größer geworden, es kommen schon mal zweitausend Leute zum Konzert, aber auch das macht Sven nicht groß nervös: „Merkwürdig ist eher, wenn jemand auf mich zukommt und sagt: ,He, ich kenne dich doch, du bist doch Sänger...‘ Das ist immer so eine Einwegkommunikation. Der glaubt mich zu kennen, aber ich kenne ihn überhaupt nicht. Letztens waren wir im Radio, die Leute haben angerufen, Fragen gestellt. Einige meinten: ,Warum sprichst du denn so stinknormal, ich krieg das nicht mit dem zusammen, wie du singst.‘ Meine Texte sind sehr konkret, handeln von konkreten Menschen. Deswegen glauben viele: Der Sänger meint mit ,ich‘ immer sich, mit ,du‘ immer den andern. Aber man kann auch in eine Rolle schlüpfen. Meine Texte sind kein Tagebuch, ich würde die auch nie jemandem vorlesen. Ich kann das gar nicht.“
Das leicht Nuschelige seines Gesangs – also doch eine Art Versteckspiel? Es müsse einem schon klar sein, daß man sich auf der Bühne auch bloßstellt, „so als Mensch“, mein Regener. Wenn man das nicht will, dürfe man wirklich nicht Musiker werden.
Regener wollte schon früh. Er hat schon als Gymnasiast bei Schulstreiks (!) Trompete gespielt, ist dann zum Musikstudium nach Berlin gezogen. Das hat er zwar geschmissen, aber erst als ihm klar wurde, daß man dort nicht zum Musiker ausgebildet wird, sondern zum Wissenschaftler.
Regener und die anderen Bandmitglieder sind gerührt, wenn die Leute beim Konzert die Texte mitsingen, sich verliebt anschauen, vielleicht eine gemeinsame Erinnerung an ein Stück knüpfen. Überhaupt die Situation „live“: „Im Konzert kann man nichts wiederholen, es zählt nur der Moment. Ein Fehler ist schon längst gemacht, wenn man ihn bemerkt. Das ist eine reizvolle Situation. Im Studio ist das Spannende eher, wie sich die Songs langsam entwickeln.“ Regener will im Studio „nicht wie im Raumschiff sein“, abgeschieden von der Welt. „Man muß das nicht aus der normalen Welt rausheben, um im Studio was zu machen. Gäste sind uns immer willkommen.“
Charakteristisch für seine Texte ist vielleicht gerade, daß sie sich nicht freiwillig ins Abseits begeben, aber doch auch den Blickwinkel des Flaneurs kennen. Regeners Position liegt irgendwo am Rande des „Mehrzweckbeckens“ Welt. Nicht daß er sich auf dem Bauch liegend im Gebüsch verstecken müßte, um seine Recherchen zu betreiben. Aber wenn er „Meinen deinen Tag“ Revue passieren läßt, dann hat man gemeinsam mit ihm die Stunden damit zugebracht, auf irgendwas zu warten, zuzuschauen, wie der Bademeister den Badenden zuschaut. Oder wie eine Zeitung durch den Wind weht.
Regener ist der Voyeur, der aus der Betrachtung seines eigenen Lebens einen eigenartigen Lustgewinn resorbiert: „Wieder ist ein schwerer Tag vollbracht“. Humor, den kaum jemand bemerkt, weil alle meinen: Elements-Musik, das sei Tiefgang, Melancholie, Trübsinn. Was ja irgendwie auch stimmt. Aber solche Gefühle sind dem Hörer schnell peinlich. Keiner will sich dabei erwischen lassen, daß er sich von einer Stimmung mitreißen läßt. Genau das aber kann passieren, wenn man dieser Musik zuhört, ohne ständig darüber nachzudenken, warum man ihr zuhört.
Wenn man die merkwürdigen Wortspiele und hanffaserigen Metaphern dechiffriert, dann gibt's auf der neuen Platte sogar eine Art Anti-Nazi-Song. „Unter Brüdern“ zeigt zwar nicht mit dem Zeigefinger auf „die anderen“, die jeweils gerade böser als man selbst sind, das Stück handelt „bloß“ von Männern und ihrer „ganz normalen“ Bündelei – was es andererseits aber ja gerade ausmacht: „Ein Schlag auf die Schulter, und du bist dabei.“ Daß am Ende – als Äquivalent zum „Arschloch“-Stück der Ärzte – die Elements „Verachtung“ äußern, kommt einem für sie schon fast zu eindeutig vor. Diesmal aber war sie wohl erwünscht. „Ich wollte das gern, daß Sven solch einen Song schreibt“, sagt Bassist Paul Lukas.
Natürlich kann es auch passieren, daß einen das gemächlich-gemütliche, fast schunkelige Grundgefühl dieser Musik, das irgendwie Harmoniesüchtige daran, leicht nervt. Aus Rache muß man Element Of Crime dann nur nach der „Chansonhaftigkeit“ ihres jüngeren Werkes fragen. Das hören sie nämlich nicht so gern.
Und wirklich: Da ist ein kleiner Dissens im Anmarsch. Akkordeon, Geige und Trompete, behaupte ich, hätten die inzwischen sogar doppelt vorhandenen Gitarristen irgendwie an die Wand gespielt, für Sven aber ist die neue Platte, und gerade die, „immer noch Rockmusik“. Nun ja, direkt prügeln will er sich dafür auch wieder nicht: „Jeder hört das anders. Und das ist auch o.k.“
Element Of Crime: „An einem Sonntag im April“ (Motor Music/ Polydor)
Die Tour beginnt heute in Bremen. Danach: 7.5. Hannover, 8.5. Hamburg, 9./10.5. Berlin, 12.5. Halle/ Leipzig, 13.5. Dresden, 14.5. Jena, 15.5. Göttingen, 16.5. Bielefeld, 17.5. Dortmund, 18.5. Frankfurt, 19.5. Köln, 21.5. Karlsruhe, 22.5. Mannheim, 23.5. Stuttgart, 24.5. Freiburg, 29.5. Nürnberg, 30.5. München, 31.5. Linz, 1.6. Wien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen